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SEPTEMBER 2017

Editorial

Über ein gern vergessenes Privileg

I

nnsbruck vergisst so gerne, was für ein riesen Schwein es hat. Geradezu selbstverständlich werden Dinge wahrgenommen, die uns eigentlich gar nicht passieren dürften, wenn man uns auf die äußeren Fakten reduziert: Kleinstadt mit ein bisschen mehr als 100.000 Einwohnern in Mittel­europa.

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Wie viele Innsbrucks, deren Namen noch nie ein Mensch gehört hat, gibt es zum Beispiel in Deutschland? Dutzende, und sie haben zwei Dinge gemein: keine Infrastruktur und keine Bedeutung. Gut, dort verschlingt eine Wohnungsmiete auch keinen Monatsgehalt und eine Mittagessensrechnung im zweistelligen Bereich ist eine Seltenheit, aber dafür will man dort wohl auch nicht wohnen, wenn man nicht dort geboren ist. Warum ist Innsbruck also anders?

Die Lage.

Innsbrucks Lage ist in mehrerlei Hinsicht einmalig. Mitten in Europa, in einer guten halben Stunde in Deutschland oder Italien. Schnell am Meer, noch schneller am
Gardasee und in nur eineinhalb Stunden in einer der vielseitigsten deutschen Großstädte. Die Lage selbst könnte schöner nicht sein, umgeben von Natur und Bergen, die es möglich macht, zwischen urbanem Leben und Naturerlebnis in nur wenigen Minuten zu wechseln. Bei uns hat jede Jahreszeit seine Reize und auch wenn wir es oft nicht so wahrnehmen: Das Wetter ist meistens schön.

Die Studierenden.

Sie sind es, die Innsbruck hip machen und für internationale Kultur sorgen. Keine coolen Lokale, keine internationalen Trends und wesentlich weniger Events aller Art gäbe es ohne die inzwischen über 30.000 Studierenden, deren Ferien Innsbrucks Sommer ruhig, aber die restliche Zeit besonders lebenswert machen. Durch sie bekommt Innsbruck ein Großtstadtflair, das Städten dieser Größenordnung meist verwehrt bleibt.

Die Touristen.

Sie sind Fluch und Segen zugleich. Jedenfalls ist ihnen aber mitzuverdanken, dass wir in einem reichen Land mit einer reichen Stadt leben. Sie bringen nicht nur Geld, sondern auch Infrastruktur. Und so freuen wir uns nicht nur über überdurchschnittlich viele Flugdestinationen im Winter wie Sommer, sondern auch über mehr Freizeitangebot als anderorts. Jeder Wanderweg, jede Radroute und jede Attraktion am Berg wurde meist für Touristen erschaffen und jetzt gerne und oft von uns Einheimischen genutzt.

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Ohne diese drei Komponenten wäre Innsbruck das Kaff, das es am Papier ist. Ohne diese drei Komponenten könnten wir nicht Großstadt spielen, ohne eine sein zu müssen. Deshalb sollten wir sie pflegen, nützen und stolz sein, uns gewisse Fragen überhaupt stellen zu dürfen: Finde ich es gut oder schlecht, dass es ein Ami-Konzept wie das Hard Rock Café in Innsbruck gibt? Sollen die Olympischen Spiele ausgerechnet schon wieder bei uns ausgetragen werden? Warum ist alles so teuer bei uns? Alles berechtigte Überlegungen, deren Beantwortung natürlich jedem selbst überlassen bleibt. Die Tatsache, dass wir uns solche Fragen überhaupt stellen können, ist aber kein Ärgernis, sondern ein Privileg, das man nicht vergessen oder gar abtun sollte.

 

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