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SEPTEMBER 2017

Essay

Hungrige Käsefüße

Ich mag Zugfahren. Habe aber Fragen.

E

s gibt da diese unfassbar dämliche Scherzfrage in dem an unfassbar dämlichen Scherzfragen ja nicht armen Genre der humoristischen Kopfnüsse. Frage: Wer genießt seinen Beruf in vollen Zügen? Antwort: ein Schaffner. Bruhaaahh.

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Man kann, ja und man will dem nichts hinzufügen. Außer vielleicht: Wer bei den bodenlurch-strotzenden Rockzipfeln der neun Musen denkt sich so was aus, bitte? Ich für meinen Teil stelle mir da einen Ministerialrat in der Spaßbehörde vor, Haarkranz und Pullunder, beides aus den frühen 1960er-Jahren, wie er nach der Fertigstellung dieser enigmatischen Hilarität zufrieden die Schreibmappe zuklappt, das Furzkissen für den nächsten Tag zurechtrückt und dann in seinem Opel Krokant gut gelaunt dem Abendbrot entgegenfährt.

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Freilich tauchen auch beim Thema Zug Fragen auf, so sehr ich die Fortbewegung mit der Eisenbahn schätze. Nur damit wir uns richtig verstehen: Ich spreche natürlich nicht von aus allen Nähten platzenden, vollgependlerten Nahverkehrszügen, sondern vom erhabenen Fernverkehr Marke Orientexpress, der die Metropolen unseres Kontinents so souverän zu verbinden weiß, z. B. Brixlegg mit Attnang-Puchheim.

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Jedenfalls: Es gibt im Zugwesen Phänomene, die, will man es in seiner Gesamtheit würdigen, nach Erwähnung verlangen. So frage ich mich etwa schon seit frühesten Kindertagen, warum so viele Menschen in geschlossenen Zugabteilen das Bedürfnis überkommt, die Schuhe auszuziehen, um die Polsterung mit ihren speckigen, fadenscheinigen Sportsocken zu schänden. Ist es massenhaft zu klein gekauftes Schuhwerk, ist es pandemisch auftretende Käsefuß-Unempfindlichkeit? Wie auch immer: Man muss doch nicht Earl Grey heißen, um hier ein wenig Zurückhaltung einzumahnen, isn’t it, my dear?

 

Ist es massenhaft zu klein Gekauftes Schuhwerk?

 

Erstaunlich ist auch, dass der Durchschnittspassagier bei Reisezeiten von über einer Stunde mehr oder weniger obligatorisch Kalorien in Form von selbst zubereiteten oder vom Fachhandel bereitgestellten Broten, Semmeln oder sonstigem Backwerk zuführen muss. Keine Frage: Sowohl der Verzehr selbst als auch der ungelenk und halbherzig vorgetragene Versuch, sich und die Umgebung von den weiträumig verteilten Bröseln zu befreien, kann als gelungene Beschäftigungstherapie bei Langstrecken gelten.

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Bloß frischen Kaffee gibt es keinen dazu. Denn interessanterweise funktioniert die Kaffeemaschine des auf Ganggröße komprimierten Bahnhofskiosks, mit dem sich ein jeden Respekt verdienender Servierstoiker durch den Zug wursteln muss, nie. Und wenn ich hier das große Wörtchen „nie“ gelassen ausspreche, dann meine ich auch nie. Im Sinne von: Das WLAN geht anständig. Oder: Auf der Zugtoilette riecht es nicht nach zwei verliebten Fernfahrern. Erlauben Sie mir deshalb, dass ich an die ÖBB-Heißgetränkeverantwortlichen unter Ihnen die Frage richte: Finden Sie nicht auch, dass es an der Zeit wäre, dieses Trumm einmal reparieren zu lassen?

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Apropos Zeit und finden: Durchaus sehr viele Fahrgäste befürchten offenbar, den Ausstieg nicht rechtzeitig ausfindig zu machen, weshalb sie sicherheitshalber schon zehn Minuten vor Ankunft im Zielbahnhof ihre Sachen zusammenraffen und sich auf die Suche nach den nächstgelegenen Absentiermöglichkeiten begeben. Doch welch Überraschung: Gottlob befindet sich die Tür ja noch ungefähr dort, wo man eingestiegen ist, und so steht man in unglücklicher Zusammenrottung äußerst blöd herum.

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Und jetzt noch rasch eine Durchsage: Meine Damen und Herren, wir erreichen unser Leseziel in wenigen Augenblicken. Ausstieg in Heftrichtung rechts.

 

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