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DEZEMBER 2019

Essay

Fett, Süß und Alk

in Daunenjacken

E

s wird momentan ja so früh dunkel, dass sich aufstehen ab dem späten Vormittag gar nicht mehr lohnt. Nicht wenige 6020-Kolumnisten, leidlich qualifizierte Finanzvorstände und waffenscheinlose Genussjäger sagen sich: Was soll ich mich um halb drei noch aus dem Bett wuchten, wenn es eh gleich wieder finster wird?

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Problem: Die für ein kuschelweiches Komfortgefühl am Himalaya konzipierte Daunenjacke will halt schon ausgeführt werden. Zum Beispiel auf den Christkindlmarkt. Und so heißt es ab 16:30 Uhr doch Aufstellung nehmen in der geleasten Moncler-Panier.

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Eines vorweg: Das wird kein superkritischer Weihnachten-hat-seinen-Sinn-verloren-Text. Ich finde die Weihnachtszeit super. Die Leute laufen zum Beispiel nicht in Flip-Flops herum. Das ist großartig. Und der Songcontest findet praktisch nie im Dezember statt.

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Ich selbst bin außerdem ein großer Freund des Christkindlmarktes. Es ist einfach das italienische Flair, das mich so begeistert. Und ich gebe gerne zu: Nach fünf, sechs Tassen Fair-Trade-Glühwein drückt man schon das eine oder andere Sentimentalitätstränchen ab, wenn die Turmbläser eine uralte Weise von Heinrich Isaac anstimmen oder eine von Bergbauernkindern in langen Winternächten hand-gezogene Bienenwachskerze besonders stimmungsvoll flackert.

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Überhaupt das Kunsthandwerk. Ist es nicht eine Freude, welche zauberhaften Deckchen man mit etwas Wolle und ein paar Tausend Maschen und Knoten erschaffen kann? Immer wieder aufs Neue fasziniert mich auch, wie viele Ornamente sich so in Holz, Glas, Stein oder Metall reinritzen lassen, ohne dass der Briefbeschwerer seine Funktionalität verliert. Und Hauspatschen oder nach antikem Germanenmuster gewirkte Wollsocken sind sowieso ein Klassiker.

Es ist einfach das italienische Flair, das mich so begeistert.

 

Vor allem, wenn daheim die appgesteuerte Fußboden-heizung wieder einmal nicht funktioniert.

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Der Adventmarkt ist alpenländisches Kulturgut. Weil das können wir: sich auf engem Raum zur Konsumation von Fett, Süß und Alk zusammenrotten. Apropos FSA: Wir haben immer noch einen hardcore-regionalen Bio-Eier-likör vom Christkindlmarkt zu Hause, weil die Mrs. meinte, Mensch, das ist aber ein hardcore-regionaler Bio-Eierlikör, den müssen wir haben. Ich hoffe sehr, dass sich 2015 noch zu einem starken Jahrgang entwickelt.

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Jedenfalls, liebe Eltern: Der Christkindlmarkt ist auch wertvolle Analogzeit! Kinder aus onlineaffinen Haushalten erleben hier das Wunder des stationären Handels. Und realisieren, dass sich Schlangen nicht nur vor den Autogrammständen rotäugiger Fortnite-Spieler oder im Netflix-Downloadordner bilden können. Zumal der Advent ja überhaupt erzieherischen Charakter hat. Stichwort: innere Einkehr. Stichwort: Vorfreude. Wenn der Adventkalender erst nach fünf Tagen leer gefressen ist, kann man sich als Eltern zurecht zur Kindsentwicklung beglückwünschen und mit Frau Rendi-Wagner festhalten: Die Richtung stimmt.

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Weil der Advent auch Zeit der Vergebung ist, will ich abschließend sogleich darum bitten. Und zwar bei allen Daunenjackenträgern, Blasmusikern, Kunsthandwerkern, Kolumnistengattinnen und Eltern, die mir gerade mit einem gereckten Daumen signalisieren: Gib a Ruh!

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Und ganz besonders entschuldigen möchte ich mich bei jenem Jogger, dem ich innseitig neulich unangemessen lange nachgeschaut habe. Seien Sie versichert, es war nichts Sexuelles. Sie, Laufelf, sind nur so herzig dahingehopst, dass ich alter Weihnachtsjunkie nicht anders konnte, als mich an Ihnen zu erfreuen.

 

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