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NOVEMBER 2019

Essay

Lob des Nichtstuns

Seien Sie untätig.

W

enn in bewegten Herbsten, wie der vorliegende einer ist, die Tage kürzer werden und die Diskussionen länger, hole ich mir mitmenschlicherseits gerne ein bisschen Zustimmung ab. Das ist günstiger als ein Wellnesswochenende in einer auf irgendwas mit Superior hochrenovierten Schasbude abseits jeglicher Zivilisation und geht außerdem ganz einfach. Ich erkläre in geselliger Runde, dass Sport und Bewegung ja überhaupt mit das Wichtigste sind für ein ausgeglichenes Leben. Und für den Fall, dass das allgemeine Kopfnicken und Bejahe noch zu verhalten ausfällt, füge ich mit Emphase und meinem frisch eingeübten Gretablick hinzu: Ganz besonders für unsere Kinder!

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Und schon schwappt eine Welle der Zustimmung über mich, die meinen Körper bis in die letzte Faser mit wohligen Empfindungen durchflutet. Man muss sagen: Es fühlt sich einfach prima an, wenn man akzeptiert wird, jawohl! Manche unter Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, können das, so habe ich mir erklären lassen, vielleicht auch mit dem Gefühl vergleichen, das sich einstellt, wenn irgendein viel gefolgtes Influencerarschloch auf Instagram das Foto Ihres klimaneutralen Kürbis-Amarant-Strudels likt.

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Jedenfalls. Wir halten fest: Sport genießt ein derart hohes Ansehen, da musst du für etwas Gegenwind schon wettkampfmäßiges Meerschweinwerfen oder Kükentennis betreiben. Wer sich hingegen hinstellt und sagt, letzten Samstag bin ich eigentlich nur zu Hause herumgehockt und habe ein Buch gelesen, erntet keinerlei nennenswerte Akklamationssignale. Eher bekommt man einen Marie-Kondo-Ratgeber und ein paar Stimmungsaufheller zugesteckt. Oder gilt halt einfach als faule Sau.

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Das ist sehr schade. Ich würde jemanden zu dieser Freizeitgestaltung nämlich jederzeit beglückwünschen. Und berichtete er mir, er sei einen ganzen Tag lang überhaupt nur herumgesessen, ohne also dabei sein kostbares Augenlicht mit Literatur zu gefährden, fällte ich ihm sogar um den Hals, wohlwissend, dass das so eigenartig wäre wie der falsche Konjunktiv eben. Warum? Weil Nichtstuer akut vom Aussterben bedroht sind.

Es tut heute fast niemand mehr nichts.

Ich könnte Ihnen jetzt diverse Anekdoten aufzählen, wie supergut Leute wie Newton, Einstein oder Rex Gildo im Nichtstun waren, aber bevor ich mir dafür einen Wolf google, können Sie es mir ja auch einfach so glauben: Regelmäßiges Nichtstun ist der Garant für großartige Ideen und ein ausgeglichenes Wesen. Die Gehirnwindungen werden da irgendwie durchgespült. Wie immer schlage ich vor, Sie befragen bei näherem Interesse dazu Ihren ärztlichen Beistand.

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Problem: Es tut heute fast niemand mehr nichts. Ja, man muss sagen: Wir haben das reine, unverfälschte Nichtstun mehr oder weniger verlernt. Hin und wieder sieht man noch ältere Damen und Herren auf Parkbänken sitzen, die diese uralte Kulturtechnik beherrschen. Der Blick, der vielleicht schon etwas trübe geworden ist und eine gewisse durchaus charmante Ablebensbereitschaft verrät, schweift herum. Fallweise wird die Jacke zurechtgestrichen oder ein Bonbon aus der Folie gefummelt. Falls zur Hand, wirft man vielleicht auch Brotkrümel in Richtung urbanes Federvieh – aber das war’s.

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Die Mehrheitsbevölkerung ist zu dieser kultivierten Form der Untätigkeit gar nicht mehr in der Lage. Selbst der kürzeste Moment des Müssiggangs, den einem etwa verspätete öffentliche Verkehrsmittel oder gleichermaßen unpünktliche Verabredungen bescheren, wird heute mithilfe des Smartphones zerstört. Von ausgedehntem Nichtstun fernab jeden Waldbadens und anderer Verrücktheiten der Achtsamkeitsindustrie wollen wir ja gar nicht erst anfangen.

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Okay, Sie können diesbezüglich jetzt auch nichts tun. Aber das passt wenigstens ganz gut.

 

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