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OKTOBER 2019

Essay

Spesenwesen

Eine Erfolgsgeschichte

S

umerer, Ägypter, Etrusker – alle kannten bereits die Spesenabrechnung. Auch die Bibel berichtet davon. Bei Lukas (6,38) heißt es über das Spesenkonto: „In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken.“ Von Jesus selbst ist wenig überliefert. Man geht heute davon aus, dass er bei der Hochzeit zu Kana spontan die Firmenkreditkarte zückte. Dass immer wieder auch seine Mutter in den Genuss dergestalt finanzierter Aufmerksamkeiten gelangte, wurde freilich längst als von Pharisäern gestreutes Gerücht entlarvt. Zumal im Falle der Jungfrau Maria ohnehin die Unschuldsvermutung zu gelten hat.

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Während in Palästina nur geringwertige Wirtschaftsgüter wie Ersatzsandalen oder Flicksets für Fischernetze auf diesem Wege abgerechnet worden sein dürften, wussten die Römer ein prall gefülltes Spesenkonto schon außerordentlich zu schätzen. Kaiser Septimius Severus zum Beispiel ließ sich vor seiner Kür nicht nur ein ausgedehntes Durchgriffsrecht bis in die letzte Ortspartei zusichern, sondern setzte auch durch, dass die Mietkosten für die Wohnung seiner Geliebten Gaia Syphilitica komplett übernommen wurden.

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Die mit der Völkerwanderung verbundenen Verwerfungen in Europa schmälerten die Bedeutung der Spesen ab März 375 n. Chr. beträchtlich. Grund: Die beliebtesten Zahlungsmittel bildeten zu dieser Zeit Speer, Prügel und Nagelkeule.

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Im Mittelalter stieg die Nachfrage nach Spesenkonten dann rasch wieder an. Frühe Formen der doppelten Buchführung sind eine wahre Fundgrube für Historiker, wenngleich höchste Vorsicht angezeigt ist. Es kam nicht selten vor, dass Herrscherhäuser Opfer eines sogenannten Inkunabeldiebs wurden. Diese frühen Hacker waren darauf spezialisiert Spesenabrechnungen und andere Aufzeichnungen zu stehlen, zu verfälschen und dann wieder zurückzulegen. Über die Frage nach dem Warum streitet die Wissenschaft noch.

Im Falle der Jungfrau Maria gilt die Unschuldsvermutung.

 

Eine Blüte erlebte das Spesenwesen am Übergang zur frühen Neuzeit. Cesare Borgia beschäftigte gegen eine brutale Monatsmaut nicht nur einen sündteuren Berater wie Machiavelli, sondern ließ es sich auch sonst an nichts fehlen. Bekleidungsbeihilfen und regelmäßige Friseurbesuche für umgerechnet 300 bis 600 Euro erscheinen aus heutiger Sicht vielleicht bizarr, waren für den gut verdienenden Renaissancefürsten und seine Zeitgenossen aber selbstverständlich.

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Auch außerhalb Europas waren Spesen bekannt. Die Chinesische Mauer wurde zum Beispiel aus Sicherheitsgründen im Zuge eines Präsidentschaftswahlkampfes errichtet. Aztekenherrscher
Tezozómoc wiederum ließ seine Frau mit der Funktion einer hauptamtlichen Tierschutzbeauftragten versorgen. Interessantes Detail am Rande: Um die Gattin nicht über Gebühr zu strapazieren, wurde gleichzeitig von Tier- auf Menschenopfer umgestellt.

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Im 20. Jahrhundert sticht in Sachen Spesen vor allem ein Mann heraus: Adolf Hitler. Waren es anfangs nur Hundefutter und zwei Dosen Bartwichse, die Hitler monatlich über die Partei abrechnen ließ, steigerten sich die Spesenausgaben bald ins schier Unermessliche.

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Als Zäsur kann dabei sicher die Umstellung auf ein neues Zahlungsmittel gelten: den Fingerzeig. Allein am 23. Oktober 1933 erwarb Hitler so im Vorübergehen zwei Mercedes-Benz 770, einen 100-Jahre-Vorrat Agfa-Schmalspurfilm für Eva Braun, den Obersalzberg und als kleinen Gag vor versammelter Mannschaft die Reiterstiefel von Hermann Göring.

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Apropos Fingerzeig. Auch ich habe einen für Sie: Probieren Sie meinen wöchentlichen Newsletter aus. Für Friseur-Selbstzahler kostenlos erhältlich unter jf-park.com.

 

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