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MAI 2019

Essay

Jedes Raumes Zier

Die Steckdose braucht keinen Philodendron mehr.

S

teckdosen waren früher ja mehr Versteck­dosen. Man hat gekonnt Zimmerpflanzen davor gestellt, sie hinter wallenden Vorhängen verborgen. Ich glaube mich an Volkshochschulkurse zu erinnern, in denen Leute mit Sinn für Ästhetik in der Kunst der Steckdosen-Camouflage unterwiesen wurden. Vielleicht meine ich auch Sondernummern einschlägiger Design-Magazine („The Socket Issue“).

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Elizabeth Taylor oder so hatte in Beverly Hills ein Haus mit 150 Steckdosen, die derart raffiniert versteckt waren, dass sie kein Mensch gefunden hat. Nicht einmal Richard Burton, der ja auf der Suche nach Alkohol sehr hartnäckig sein konnte. Elektrikern hat man damals deshalb auch als Durchschnittsnase nachgerufen: Aber dass Sie mir die Dinger nicht zu aufdringlich montieren, Herr Strchal!

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Man muss sagen: Heute ist die Steckdose jedes Raumes Zier. Wenn man Gäste in sein neues Luxusappartement lädt, fragen Sie als Erstes danach. Nicht die 20-Quadratmeter-Regenwalddusche oder die Kücheninsel um 65.000 Flocken sorgt für Begeisterungsstürme, sondern der im Carrara-Marmor versenkte Dreierstecker. Und während man gerade den Dom Perignon mit einem sommerlichen Spritzer Holundersirup schändet, macht es drei Mal rgl-rgl-klack und alle Steckdosen sind belegt. Mit Ladekabeln.

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Das hat natürlich mit dem enormen Strombedarf von Smartphones zu tun. Eine Zeit lang dachte ich Snob ja, dass billigere Geräte halt mittlerweile ohne Akku angeboten werden. Das stimmt aber nicht. Selbstverständlich verfügen auch diese über einen Akku, wie mir Herr Cengiz von der Handybäckerei Demir freundlicherweise versichert hat. Er dient allerdings nur zur Überbrückung von einer Steckdose zur anderen, ist also im Wesentlichen ein Notstromaggregat für den Weg vom Wohnzimmer aufs Klo.  



Steckdosen waren früher ja mehr Versteckdosen.

 

Wenn heute Jugendliche hysterisch ins waagrecht vors Gesicht gehaltene Handy plärren, liegt das bestimmt an ihrem Batteriestatus („kompliziert“). Drei Prozent und noch zweihundert Meter zur nächsten Steckdose – da kann man ja nur panisch werden. Immerhin: Bei teuren Modellen werden unterwegs ebenfalls Ladekabel benötigt. Und zwar weil das Gerät a) schon hoffnungslos veraltet ist (sechs Monate) oder vom Besitzer verbrauchsintensiv zur Darstellung seines Erfolgslebens als Filmkamera, -studio und -übertragungswagen genutzt wird. 

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Ich weiß nicht, ob Ihnen das schon aufgefallen ist: Immer häufiger wuchten Leute autobatterie-artige Ladeklötze auf den Kaffeehaustisch oder schleppen diese in faserverstärkten Taschen mit sich herum. Ich Naivling war ja bis vor kurzem der irrigen Annahme, dass es sich dabei um E-Bike-Zweitakkus technikaffiner COPD-Patienten handelt. Stimmt aber gar nicht. Das sind mobile Hochleistungsladestationen, die dem Smartphone-Nutzer ein gewisses Maß an Energieautarkie ermöglichen sollen. In Nicaragua werden damit Schuhfabriken und Flughäfen betrieben.

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Ja, aber warum begegnet man trotzdem immer wieder Leuten mit tränenbenetzten Gesichtern, die ihr Smartphone flehend gen Himmel richten und dabei herzzerreißende Klagegesänge psalmodieren? Auch das ist leicht erklärt. Uropa weinte noch, als er erfuhr, dass der Führer mit Lungenentzündung im Bett liegt. Mama war ein halbes Jahr depressiv wegen saurem Regen und Waldsterben. Heute nehmen Nervenzusammenbrüche ihren Ausgang beim kaputten Wlan.

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Das ist zwar nicht schön, aber wenigstens absurd. 

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