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MAI 2019

Wenn der Hafen untergeht – ein Abgesang mit Vorbehalt

Nach 23 Jahren wird das VAZ Hafen abgerissen. Für den Ort, an dem Hochzeiten, Erotikmessen, Metal-Konzerte und Flohmärkte unter einem Dach stattfanden, wird zwar Ersatz gesucht – die Zeit in den legendären Hallen mit DIY-Charme ist jedoch vorbei.

Fotos: Axel Springer, Nyman-Sramkova, VAZ Hafen
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itte April erreichte das Kultur-Miniversum Innsbrucks wieder einmal eine traurige Nachricht, die das Schiffe-Versenken lokaler (sub-)kultureller Einrichtungen vorantreiben wird: Das 1996 eröffnete Veranstaltungszentrum (VAZ) Hafen wird geschlossen, planiert und neu bebaut. War es 2017 der Weekender, der untergehen musste, so versinkt nun wörtlich der letzte Hafen des Undergroundchens der Stadt.

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Wo es früher in Erotikshows zur Sache ging, wird in Zukunft wohl Chai Latte getrunken, wo Goa-Freaks für und gegen ein sinnloses Leben tanzten, werden in Großraumbüros bald Überstunden geschoben werden, und wo sich Punks früher mindestens Bier und zu laute Musik reinzogen, wird gelehrt und gelernt werden. Das sind die möglichen Zukunftspläne für das Areal im Westen Innsbrucks, das neben dem VAZ Hafen auch günstige Parkplätze miteinschließt. Fakt ist, dass die Gebäude des Veranstaltungszentrums mit Ende Juni ihre Pforten schließen. Der Erschließungsgesellschaft Inn-West, der das Grundstück gehört, geht es dabei um die „höherwertige Nutzung“ des Platzes. „Höherwertige Nutzung“ bedeutet: Büros, Bildungseinrichtungen und Gastronomie.

War es 2017 der Weekender, der untergehen musste, so versinkt nun wortlich der letzte Hafen des Undergroundchens der Stadt.

Ein neuer Hafen.

Als sich am Tag der Bekanntmachung auf Punk- und Bobo-Facebook bereits Panik breitgemacht hatte, verkündigte Bürgermeister Willi im ORF-Interview die Wichtigkeit kultureller Einrichtungen und die Suche nach Ersatz. Auf Nachfrage heißt es aus dem Bürgermeisterbüro sogar, dass man im Juni „nahtlos“ mit einem neuen Hafen anschließen will. „Uns wäre recht, wenn der Hafen als Institution bestehen bleibt“, sagt Willis Sprecher Michael Bauer.

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Alfred Schmid, Betreiber des Hafens seit Stunde null, freut sich über die Wertschätzung. „Herr Bürgermeister, wir nehmen Sie beim Wort“, lässt er ausrichten. Mehr kann man zurzeit nicht tun – Gespräche zwischen der Stadt und den Hafen-Betreibern werden im Mai anlaufen. Das Ende des alten Hafens war durch einen immer nur für zwei Jahre ausgestellten Mietvertrag von Anfang an präsent, die unsichere Verlängerung ein „Damoklesschwert“, wie Schmid gerne sagt. Genau darin liegt mitunter der Charme des Veranstaltungszentrums. „Wir brauchen nur eine Halle, alles andere können wir uns selber machen“, meint er über die Entstehung des Hafens und eine mögliche Ersatz-Venue.

„Herr Bürgermeister, wir nehmen Sie beim Wort.“

Alfred Schmid, Betreiber VAZ Hafen

 

Durch diesen Do-It-Yourself-Ansatz bekamen Crash, Hades und Dock, die Hallen unterschiedlicher Größen im VAZ, ihr charakteristisches Aussehen. Dass die Räume früher als Sägewerk und Hafen für im Fluss transportierte Baumstämme dienten, passt nur noch besser ins Bild: Ein echter Hafen in einer landgebundenen Binnenstadt in den Bergen war es, der die kulturellen „Randgruppen“ in sein Becken trieb. Genau für diesen Zweck brauchte man laut Schmid „eine Bruchbude, ein Dach über dem Kopf“. Dazu gehört ein Team, das in den Hafen nicht nur Arbeitszeit, sondern Herzblut und Idealismus gesteckt hat. „Ich lebe den Hafen von der ersten Minute an“, sagt Tanja Eder, die vor 15 Jahren als Kellnerin im Hafen begonnen hat und seit Jahren als Geschäftsführerin und Promoterin fungiert.

 

Wenn der Hafen untergeht

Eine Mischung aus DIY-Feeling und Street Art machte den Reiz der bald abgerissenen Räumlichkeiten aus. 

Wenn der Hafen untergeht
Wenn der Hafen untergeht
Wenn der Hafen untergeht

„Innsbruck war immer ein Radar fur verschiedene musikalische Strö-mungen.“

Kurt Herran, Brothers of Mercy
Auch im Garten fanden immer wieder Events statt.

 

Slayer, Hosen und Deep Purple.

„Innsbruck war immer ein Radar für verschiedene musikalische Strömungen“, erzählt Kurt Herran. Er eröffnete mit seiner Band Brothers of Mercy als Vorband von Jim Rose and the Flying Circus das erste Konzert im Hafen – damals ein Baustellenkonzert am Platz des heutigen Docks. Über die Jahre ankerten kleine Bands, große Acts und Solokünstler auf den Stages. Das Line-up eines knappen Vierteljahrhunderts zeigte, dass, wenn es Musikstil-Schubladen gibt, der Hafen ein geräumiger Schrank ist. Fast alles ging, solange man nicht, so Alfred Schmid, „politisch extrem“ war.

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Das waren die Umstände, unter denen Highlights wie das Deep-Purple-Konzert am Parkplatz stattfanden, die Toten Hosen einheizten, Slayer Blut und die Sportfreunde Stiller Applaus, Applaus regnen ließen. Der Hafen war nicht nur ein ewiges Provisorium im besten Sinne, sondern ein Schmelztiegel der Subkulturen und der Musikstile, die sowohl in anderen Musik-Häusern als auch in Häusern der Musik weniger Anklang fanden und finden würden. Auch wenn es, wie Kurt Herran meint, „große Vielfalt und doch eine eigene Linie“ gab, fanden im Hafen Formate wie die hauseigene Erotikmesse „Sex-City“, die Reihe „Queer Attack“ und der beliebte samstägliche Flohmarkt ihren Platz und positiven Anklang.

Wenn der Hafen untergeht

Mit Eigenkreationen wie dem Holi-Festival und dem Samstags-Flohmarkt war der Hafen eine fixe Größe des Innsbrucker
Freizeitlebens.

Wenn der Hafen untergeht
Wenn der Hafen untergeht

Besucher gesamt:

über
7 Millionen

Partys:

mehrere
Tausend

 

Nahtloser Ersatz.

Nachdem Innsbrucks Nachtleben durch die ersatzlose Schließung des Stadtcafés und des Weekenders in den letzten Jahren ordentlich ausgedünnt wurde, will die Stadt Innsbruck den Ersatz-Hafen nicht nur bald, sondern an einem einzigen Ort, und „nicht im Stadtgebiet verteilt“ installieren. „Wenn ich dabei sein sollte, muss es eine offene Plattform sein“, kommentiert Schmid eine mögliche Beteiligung am Ersatz-Hafen. Beim Betreiben eines Veranstaltungszentrums möchte er keine Ideologie vertreten, wie er das bei anderen Innsbrucker Lokal-Institutionen verortet. Ein Hafen-Ersatzort braucht nicht viel und schon gar keinen Seezugang, Schmid versteht aber „jeden, der in der Nacht schlafen will“. Auch Tanja Eder wünscht sich, den neuen Hafen „noch einmal zusammen aufbauen zu können“.

Wo Goa-Freaks für und gegen ein sinnloses Leben tanzten, werden
in Großraumbüros bald Überstunden
geschoben werden.

 

Der Wille für einen schleunigen Hafen-Ersatz scheint auch in der Zivilbevölkerung groß zu sein. Phillip Lechner, der selbst regelmäßig im Hafen veranstaltete, initiierte eine Petition für die schnelle Suche nach einem Ausweich-Ort und hat bereits mehr als 2.000 Unterschriften erhalten.

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Ganz egal, wie bald man eine neue Location gefunden hat, der alte Hafen mit seiner reizvollen Mischung aus Street-Art, stadtnahem Stadtrand-Gefühl und der Fülle an Erinnerungen ist jedenfalls passé. Er versinkt zu den anderen Lokalitäten am Boden des Meeresgrundes der Innsbrucker Club-Kultur, aus dem allzu oft wehmütige Anekdoten an die Oberfläche steigen.

 

Wenn der Hafen untergeht

Deutschrap-Superstar Marteria heizt den Hafen an.

Wenn der Hafen untergeht

Auf exzessiven Live-Shows wurde am Rand von Innsbruck Subkultur gelebt.

Wenn der Hafen untergeht
Wenn der Hafen untergeht
Wenn der Hafen untergeht

Name-Dropping: Wer im Hafen über die Jahre auf der Bühne stand – eine Auswahl.

Patti Smith ● Einstürzende Neubauten ● Hubert von Goisern ● Die Seer ● Bischof Reinhold Stecher ● Roland Düringer ● Söhne Mannheims ● Die Toten Hosen ● Gigi D’Agostino ● KIZ ● The Cure ● Manowar ● Slayer ● Alanis Morisette ● Jose Gonzales ● Hans Söllner ● Therapy ● Deep Purple ● Materia ● Bloodhound Gang ● Bushido ● José González ● Sido ● Stermann und Grissemann ● Kurt Ostbahn ● Sportfreunde Stiller ● Manowar ● Kollegah ● Deep Purple ● Judas Priest ● J.B.O ● NOFX ● Seeed ● Stefanie Werger ● Element of Crime ● Die Ärzte ● Sido ● Shaggy ● Tiger Lillies …