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MAI 2019

Neue Typen braucht die Stadt

Alles Willi, oder was? Vor einem Jahr wurde erstmals in Österreich
ein Grüner Bürgermeister. Seitdem überstrahlt Georg Willi in und aus Innsbruck Freund wie Feind. Die personelle Erstarrung und der pure Machterhalt sind jedoch ein Problem aller größeren Stadtparteien.

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it 2.589 Stimmen sind die Vereinten Grünen Österreichs (VGÖ) 1989 in den Innsbrucker Gemeinderat eingezogen. Sie waren dem zweiten Sitz näher, als den ersten zu verlieren. Denn es gab und gibt keine besondere Einstiegsbarriere in das vierzigköpfige Stadtparlament. Das lässt dort immer wieder Kleinstparteien, also Einzelpersonen überleben. Wie Georg Willi, das damalige Gesicht der VGÖ. Mit einer Vier-Prozent-Hürde, die heute die sechs größten Kleinparteien (in Innsbruck gibt es nur solche) wollen, wäre es sich vor 30 Jahren nur knapp – wenn überhaupt – für den heutigen Bürgermeister ausgegangen. Angesichts einer Wahlbeteiligung von 77,8 Prozent hätte er 2.472 Kreuzchen benötigt. Ob er sie anlässlich eines Bewusstseins der Wähler für die Einstiegshürde bekommen hätte, ist zumindest fragwürdig. Kampagnen gegen verlorene Stimmen funktionieren. Das Einstiegshürdenprinzip benachteiligt kleine Listen auch bei der Anhänger-Mobilisierung.

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Die Erinnerung an eigene, von basisdemokratischem Idealismus getragene Anfänge wirkt also bei Georg Willi und seinen Grünen ziemlich verblasst, wenn sie nun mit ÖVP, FI (Für Innsbruck), SPÖ, FPÖ und Neos das Stadtrecht ändern wollen. So dass im Endeffekt nur noch diese sechs statt der aktuell zehn Listen im Gemeinderat vertreten sind. Abgesehen von den neuen Überzeugungstätern Neos wirft das ein bezeichnendes Licht auf eine Stadtpolitik, die seit einem Vierteljahrhundert größtenteils von den immer gleichen Akteuren getragen wird.

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Der Schlüssel dazu liegt in der Gemeinderatswahl von 1994, als Herwig van Staa mit seiner VP-Abspaltung FI Bürgermeister wurde. Die Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte mit seinen Nachfolgerinnen Hilde Zach und Christine Oppitz-Plörer (COP) wirkt heute nur noch wie ein Abgesang. Die gewesene Bürgermeisterin und jetzige Vize ist das Musterbeispiel für ein Versäumnis: Wer zu spät geht, der beschädigt seine Nachred‘. Als Liste COP muss FI fürchten, 2024 nicht einmal vier Prozent zu erreichen. Doch etwas anderes ist nicht in Sicht.

Die Schwäche der ÖVP und das Koma von FI. 

Allenfalls die Schwäche der ÖVP könnte das Koma ihrer Abspaltung verlängern. Anders als Oppitz-Plörer, die entgegen ihres langjährigen Wikipedia-Eintrags nicht schon 1994 als Ersatz-, sondern erst 2000 als Gemeinderätin eingestiegen ist, wurde Franz Xaver Gruber bereits 1994 Geschäftsführer der städtischen Volkspartei. Während unter ihr das 2000 noch 36 Prozent starke FI auf 16 Prozent Tiefststand gesunken ist, hat der ehemalige Vizebürgermeister und jetzige Stadtrat die VP auf 15 Prozent geführt. Erfolgsausweise sehen anders aus.

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Unterboten werden die beiden allenfalls noch von der SPÖ, die 1994 unter Norbert Wimmer erstmals die stärkste Partei in Innsbruck war. Nun hat sie gerade noch ein Drittel der damaligen Stimmen und liegt lediglich auf Rang fünf.

Die Langzeit-Kommunalgrößen, deren Erfolge ihren Verbleib rechtfertigen, stehen letztlich dem Weiterkommen ihrer Parteien im Wege.

 

Dieses rote Modell ist allerdings das einzige Gegenargument zu den Sesselklebern in den anderen Parteien. Die SPÖ zeigt, dass neue Besen nicht gut kehren müssen. Aber sie hat mit Stadträtin Elisabeth Mayr wenigstens ein neues Gesicht, wenngleich die Ämtertrennung mit Benjamin Plach als neuem Stadtparteivorsitzenden bereits den Keim der nächsten Machtfrage in sich trägt.

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Eine solche stellt sich in den stärksten Parteien nicht. Georg Willi, der 1994 vom Gemeinderat in den Landtag wechselte, ist dank historisch bestem Grün-Ergebnis und Bürgermeistertitel vollkommen unangefochten. Das Gleiche gilt für seinen stärksten Widerpart, den mit hundert Prozent zum blauen Stadtparteiobmann wiedergewählten, im Gegensatz zu 1994 nicht mehr amtsführenden Stadtrat, also de facto Oppositionsführer – Rudi Federspiel. Auch die FPÖ war noch nie stärker als nun mit ihm.

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Genau das ist die Schwäche. Die Langzeit-Kommunalgrößen, deren Erfolge ihren Verbleib rechtfertigen, stehen letztlich dem Weiterkommen ihrer Parteien im Wege. Georg Willi wird im nächsten Wahljahr 2024 zwar erst 65, doch in seinem Schatten ziehen von Uschi Schwarzl bis Gerhard Fritz grüne Pioniere die Parteifäden, statt Nachfolgekandidaten auf die Bahn zu bringen. In der FPÖ ist hingegen hinter dem zehn Jahre älteren Rudi Federspiel überhaupt niemand in Sicht. Die blaue Personaldecke wirkt so dünn wie jene der rivalisierenden bürgerlichen Listen von VP und FI. Weder Schwarz noch Gelb haben durch Türkis einen Impuls erhalten. Ohne solche Führungsfigur gerät aber der Ausweg aus beiderlei Dilemma – die Wiedervereinigung – zur Sackgasse der endgültigen Dezimierung. 

Der Machterhalt mit der Querulantenhürde. 

Eine solche haben alle Parteien zusammen schon mit der Wahlbeteiligung verbrochen. 50 Prozent waren es noch 2018 – beim Bürgermeister-Stecken sogar lediglich 44 Prozent. So stützen sich die Grünen als stärkste Fraktion nur auf 24 Prozent der Stimmen – die geringste Machtbasis einer Bürgermeisterliste in einer österreichischen Landeshauptstadt. Es sind bloß zwölf Prozent der Wahlberechtigten, nur 19 Prozent von ihnen haben Georg Willi direkt gewählt.

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Unterdessen genügten 1.220 Stimmen, um in den Gemeinderat einer Stadt mit 133.000 Einwohnern zu kommen. Das öffnet Tür und Tor für fragwürdige Selbst- statt Volksvertreter, aber auch lästige Bürgerinitiativen. Doch genau diese Auseinandersetzung ist das Wesen von Kommunalpolitik. Nicht von ungefähr hat keine österreichische Landeshauptstadt eine Prozenthürde für den Einstieg in den Gemeinderat.

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Ginge es wirklich um Regierungsfähigkeit, müsste das Verhältniswahlrecht in Frage gestellt werden. Ein Mehrheitswahlrecht schließt mitunter aber flugs auch jene vom Mitregieren aus, die es jetzt beschließen sollten. Deshalb wird es nicht einmal angedacht. Die Innsbrucker Querulantenhürde ist ein Vorstoß zum Machterhalt von Listen, die demokratiepolitisch am Ende ihres Lateins sind. Das darf nicht Schule machen. Wenn es für Kleine und Neue schwieriger statt leichter wird, in Entscheidungsgremien zu kommen, wächst das Gesamtinteresse an der Politik nicht. Eher schaffen das neue Gesichter in den wahlwerbenden Gruppen. Sebastian Kurz und die Bundes-ÖVP sind ein gutes Beispiel dafür, was der Innsbrucker Kommunalpolitik fehlt: Neue Typen braucht die Stadt.