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JULI 2016

Essay

Das neue Biedermeier

Irgendwer heißt immer Kevin-Manfred.

M

it Epochen ist es ja so eine Sache. Als Insasse bekommt man davon wenig bis gar nichts mit. Ein Blick in die Geschichte beweist es. Kein Mensch hat zum Beispiel jemals gesagt: Höre, Mann, den Ochsenkarren musst du bis Ende der Woche wieder flott bekommen, weil nächsten Dienstag beginnt das Spätmittelalter. Nein, davon können Sie ausgehen, dass das jetzt eben eine ganz blödsinnige Welt-Uraufführung war. Gleiches gilt ziemlich sicher auch für die Antwort des Gatten, so nachvollziehbar sie uns Kfz-Wartungsbeauftragten, die wir weiblicherseits immer so was von unter Druck gesetzt werden, auch erscheinen mag: Ach, du immer mit deinem Scheiß-Spätmittelalter, Hertha, ich kann’s echt nicht mehr hören.

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Es ist aber jedenfalls so: Wer wirklich was von einer Epoche haben will, muss sie ausrufen. Geht ganz einfach. Zum Beispiel folgendermaßen: Leute, Leute, das neue Biedermeier ist da, treten Sie näher, treten Sie ein.  

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Na dann. Keine Ahnung, was Sie tun, ich schlüpfe jedenfalls schnell in meinen Hausrock und mache es mir sofort am Diwan gemütlich. Ach, ist dieser Rückzug ins Private herrlich – diese Ruhe in den eigenen vier Wänden, keine Hektik und vor allem: keine Diskussionen.

Ach, Du immer mit deinem Scheiß-Spätmittelalter, hertha.

 

So, und jetzt halte ich einmal in aller Entspanntheit fest: Was mittlerweile immer und überall herumgestritten wird, das geht ja auf keine Kuhhaut mehr, oder? Die Wahrscheinlichkeit, dass sich aus einem harmlosen Plausch eine Flüchtlingsdiskussion entwickelt, liegt momentan bei über 70 Prozent. Oft ist die Hinlenkung auf Briefwahlbetrug die einzige Chance, um aus der Nummer wieder rauszukommen. Oder man bringt den Veganismus ins Spiel.

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Aber auch abseits aktueller Erregungspotenziale lauern allerlei Gefahren. Weil es ist ja so: Irgendjemand heißt immer Kevin-Manfred. Oder hat einen Sohn, der so heißt. Oder kennt jemanden, dem das Schicksal namentlich derart übel mitgespielt hat. Deshalb habe ich es mir zur Regel gemacht, in fröhlicher Runde grundsätzlich nicht über Namen zu witzeln. Höchstens jemand heißt jetzt Spartacus Brunmayr, dann hat man praktisch keine andere Wahl.

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Auf ein äußerst riskantes Spiel lässt sich auch ein, wer in seinen Ausführungen auf die Eigenheiten diverser Völkerschaften, Religionsgemeinschaften und so weiter eingeht. Sicher, mit ein wenig Übung ist man durchaus im Stande zu eruieren, ob zum Beispiel Eskimos zugegen sind, und wenn dem nicht so ist, kann man seinen Gedanken über diese Eisbären tötenden Fellzwerge, die alle immer so super finden, relativ gefahrlos freien Lauf lassen.

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Problem: Während man Eskimos ziemlich einfach erkennt, weil sie eigentlich fast nur von Schnee reden und davon, wie heiß es bei uns ist, erweist sich die Zuordnung anderer Nationalitäten als deutlich komplexer. Denn es gibt sie, die feurigen Finnen oder milchgesichtigen Äquatorialguineastinnen.

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Am Diwan fassen wir also wie folgt zusammen: Ein frischer Atem gehört gewiss zum Instrumen­tarium gepflegter Plauderei. Niemand bestreitet das! Doch nützt auch der allerreinste Odor nichts, wenn die Konversation vermittels ungelenker Gesprächsführung in jähe Abgründe stürzt. Nur allzu rasch dräuen dann, wo eben noch das Vergnügen und die Unbeschwertheit einen ausgelassenen Ringeltanz aufführten, tiefschwarze Gewitterwolken am Firmament.

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