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MÄRZ 2019

Essay

Wrühling

Oder: Eine jahreszeitbedingte Zumutung

W

enn Sie Meteorologe sind oder einen Wetterfrosch als Haustier halten, fordere ich Sie hiermit freundlich, aber bestimmt auf, pronto das Kolumnengelände zu verlassen und sich wieder Ihren Modellen und raffinierten Berechnungen zu widmen. Oder meinetwegen Ihrer Dreckskröte. Weil Widerspruch aus berufenem Munde ist jetzt wirklich das Letzte, was ich brauchen kann. Die Sache ist nämlich die: Es gibt ja überhaupt gar nicht vier Jahreszeiten. In Wahrheit sind es fünf.

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Frühling, Sommer, Herbst, Winter – so weit folgt diese Aufzählung, wie Sie sicherlich so behände wie zielsicher erkannt haben, durchaus der Dogmatik der orthodoxen Meteorologie, und wir wollen uns ja auch gerne ihrer Überzeugung anschließen, dass es schon seine Berechtigung hat, die Existenz der genannten Jahreszeiten zu postulieren. Allein, meine Damen und Herren leserseitig, das Konzept greift zu kurz, um die Wetterrealität in unseren Breitengraden angemessen zu beschreiben!

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Denn was bitte wird uns denn da Jahr für Jahr etwa zu dieser Zeit vor die Haustür geknallt? Liegt uns, wenn wir auf die Straße treten, wie vereinbart wahlweise ab 1. März (Premiumversand dank Wetter prime) oder sonst halt ab 21. März ein anständiger Frühling zu Füßen? Mit ein bisschen fein und sonnig und hell und wieder Ja zum Leben sagen und so weiter. Nein, natürlich nicht. Wir haben nämlich Wrühling. Wrühling heißt: Es kann um 11 Uhr Frühling sein und um 14.30 Uhr Winter. Wrühling heißt auch: In der Früh Sibirien, mittags Gardasee. Absolutely-No-Fun-Fact: Die Multifunktionsjacke wurde dafür erfunden, weshalb sie aber auch noch keinen Scheiß besser aussieht. Wrühling heißt: Endlich länger hell mit Schneefall.

Wrühling klingt einfach mehr nach würg, spuck, kotz.

 

Kurz: Dieser launische Witz von einer Wetterlage ist die Maria Curry der Naturphänomenologie. Unberechenbar und auf eine uncharmante Art Banane. Denkbar wäre auch, ihn Finter zu nennen. Aber Wrühling klingt einfach mehr nach würg, spuck, kotz.

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Wenn Sie hier ein erkleckliches Maß an Resig­nation herauslesen, liegen Sie vollkommen richtig. Hier spricht nicht der sarkastische Kommentator der Zeitläufte, der sich auf zwei Import-Xanax, während er am Laptop zugange ist, nebenbei die Füße machen lässt, sondern ein hochgradig Betroffener. Es herrscht das Gefühlschaos des Verzweifelten: Hoffnung und Zuversicht, ja der Glaube an ein Wiedersehen mit der warmen Jahreszeit wechseln sich mit Argwohn und Ernüchterung ab. Immer wieder Wunschkoma-Phantasien. Am schlimmsten ist gewiss die Ungewissheit: Wann kommen endlich angenehme Temperaturen? Und wenn sie da sind, droht dann doch noch einmal ein Wintereinbruch? Wo doch in unserem verrückten kleinen Land bis Mitte Mai praktisch alles passieren kann.

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Wenn ich an einem sonnigen Wrühlingstag auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung durch die Stadt streune und die Menschen sehe, wie sie sich für das bisschen Lebensglück wie die Marillenbäume an die Hauswände schmiegen, weiß ich, dass ich nicht alleine bin. Nur ein paar verrückte Skifahrer mit Zwangssportausübungsneurose und der übliche Prozentsatz an Naturstoikern, denen sowieso alles wurscht ist, solange das Wlan funktioniert, finden den Wrühling super. Der Rest will nach Herbstdepression, Weihnachtsexzess, grippalem Infekt und Skiverletzung endlich wieder einen guten Grund, um sich morgens aus dem Bett zu wuchten.

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Meiner geht so: Montags um halb zwölf nach dem Business Lunch eine Flasche Jahrgangskognak aufmachen und den Tag mit Gleichgesinnten gemütlich auf der Terrasse ausklingen lassen.

 

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