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OKTOBER 2015

Essay

Ödöns Ödem

Der folgende Text steht im Zeichen des Windes und der Freude über einen Titel mit 75 Prozent Ö im Vokalbereich.

E

s ist ja so: Ödön von Horváth wurde in einer stürmischen Pariser Nacht von einem herabfallenden Ast erschlagen. 
Das ist jetzt genau die Art Information, mit der du in Konversationen punkten kannst, sofern sie mit der entsprechenden Lässig- und Selbstverständlichkeit eingestreut wird. Und das nicht zu knapp, liebe Freunde der Neuen Sachlichkeit. 


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Allerdings – klappt immer seltener bei angeregten Unterhaltungen über Literatur und Theater, sondern eigentlich nur mehr, weil irgendein Eierbär wissen will, was bitte sehr ein Ödem ist und sich nicht aufraffen kann, Dr. Google zu befragen. Da grätschst du dann original mit Ödöns tragischem Exil-Exitus dazwischen und freust dich wie ein Schneekönig, weil irgendwo muss man ja hin mit dem ganzen sinnlosen Wissen, das sich über die Jahre angesammelt hat.

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Zumal ja – bitte festhalten – Joseph Roth ziemlich genau ein Jahr später auch in Paris zugrunde gegangen ist. Aber nicht an unwetterbedingtem Fallholz, sondern am Alkohol. Was wiederum eine prächtige Überleitung zu folgendem fun fact liefert: Fünf der sechs ersten Literaturnobelpreisträger aus den USA waren richtig heavy Trinker. Faulkner, Hemingway und so weiter. 


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Der gute Ernest erschoss sich mit einer Flinte, zu der er so etwas wie eine innige Beziehung pflegte. Und selbiges kann man wohl auch von einer speziellen Silber-Kugel und ihrem Besitzer, dem polnischen Grafen, Historiker und Schriftsteller Jan Potocki behaupten. Der hatte sie von einem Samowar abmontiert – für die Jüngeren: Das ist praktisch ein russischer Kaffeeautomat, nur für Tee und vor allem ohne Scheißstörungen – und dieses Trumm vor seinem Selbstmord in tagelanger Fitzelarbeit kleiner gefeilt, bis es in den Lauf seiner Pistole passte. Ja, die Schriftsteller, die sind schon ein lustiges Völkchen. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Ödön ungarisch für Edmund ist?

Wind ist ja echt das Letzte. Man kann sagen: Wind ist das Arschloch-Element schlechthin.

 

Jedenfalls, wir merken uns: Bildung ist nutzlos, um nicht zu sagen so was von Scheiße, und man macht sich nur unbeliebt damit. Aber wenigstens: Von einem Ast erschlagen werden ist okay, jetzt einmal final betrachtet. Also ich zumindest, liebe Herbstdepressive, könnte gut damit leben, wenn Sie mir diesen kleinen Kalauer erlauben. Viel schrecklicher wäre es doch wegen etwas zu sterben, das man liebt. Käsekrainer zum Beispiel. Oder eine unsachgemäß zubereitete Crème brûlée, die dir pronto die Atemwege verklebt. Aber die Kombi Wind und Ast, nein, die passt für mich. 


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Weil: Wind ist ja echt das Letzte. Man kann sagen: Wind ist das Arschloch-Element schlechthin. Wobei man auch wieder sagen muss: Ich bin letztlich in keinem Element in meinem Element. Ausnahme: die heimelige, gnadenbringende Leere des Vakuums. Der Wind jedenfalls ist für genau nichts gut außer für Waldbrände, Horizontalregen, Segeln, Surfen und andere Katastrophen. Viel schwerer wiegt aber noch, was der Wind alles verhindert: entspannt in der Herbstsonne auf der Café-Central-Terrasse ein großformatiges Intelligenzblatt lesen und sich dabei wahnsinnig intellektuell vorkommen zum Beispiel. Oder aus irgendeinem ganz wichtigen Grund eine Kerze anzünden. Und natürlich: Badmington.


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Ja, Badmington. Mit G. Ich schreibe das absichtlich so. Weil ich ein großer Ignorantenfreund bin. Wenn jemand Antibiotikas braucht, wird mir so warm ums Herz, dass ich die ganze Welt umarmen könnte. Und so blicke ich bei Windstärke 10 und Dauer-Kopfschmerz wegen dieses elenden Föhns mit Wehmut auf die verpasste Chance zurück, Apotheker zu werden. Und ein Menschenfreund.      

Aber meistens bringe ich halt nur den Müll runter.

 

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