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JÄNNER 2017

Essay

Beruitan

Es müssen nicht immer die Weiten der russischen Taiga sein oder Franz-Josef-Land spät abends, um die Gnade der Einsamkeit zu erfahren.

J

a, im Baumarkt kann der Abenteurer schier endlose Kreise durch die menschenleeren Gänge ziehen, in unentdeckte Gebiete vordringen, die noch kein zivilisierter Mensch jemals geschaut. Zudem ist er im Stande, nur auf sich selbst gestellt das Unbekannte zu erforschen und dabei der Ödnis wundersamen Reiz zu erleben. Und wenn er dann auch noch etwas Kleber für die lockere Fliese in der Küche mitnimmt, um das Scheißding endlich an der Wand zu befestigen, und zwar so, dass es auch hält, dann kommt seine Frau vielleicht zum Schluss, dass er am Ende doch ein Mann ist und keine Memme.

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Aber genug von mir. In der Baustoff-Abteilung eines Heimwerkermarktes herrschen ja oft derart unwirtliche Verhältnisse, lebensfeindlich, marsia­nisch, möchte man fast sagen, dass man sich nach zwei Tagesmärschen über eine unvermittelt auftauchende Palette Dispersionsfarbe im Sonderangebot oder das Video einer ekstatisch vorgetragenen Präsentation des neuesten Fugenwerkzeugs nachgerade freut.

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Ja, es muss hier irgendwo Leben geben, ist man geneigt, gen Hallendecke zu deklamieren. Vielleicht sogar intelligentes! Man möge nun aber nur nicht den Fehler begehen und sich erwartungsvoll diesem Baumarktmitarbeiter da drüben nähern, den wir plötzlich bloß einen Schraubenzieherwurf entfernt friedlich vor dem Malerbedarf grasen sehen. Denn man bedenke: Nur allzu oft wurde das scheue Wesen schon verschreckt und ward dann lange nicht mehr gesehen.

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Und gebracht hätte es ja in dem Sinn auch nichts. Stichwort: Kompetenzvakuum. Die Beratungswissenschaft unterscheidet drei Stadien dieses oft beobachteten Phänomens. Der Einfachheit halber hat man die drei Stufen nach dem typischen Ort ihres Auftretens benannt. Sie lauten: 1. Sportdiscounter (= herzlich wenig Ahnung laut DIN-Norm 2871), 2. Elektrogroßmarkt (= keine Ahnung, aber unhöflich) und 3. Baumarkt (= nicht den leisesten Schimmer von irgendwas).

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Oft frage ich mich, wie wohl im Heimwerkerbedarfswesen Bewerbungsgespräche ablaufen. Wahrscheinlich folgendermaßen:

„Nur allzu oft wurde das Scheue Wesen schon verschreckt.“

 

Filialleiter: „Was haben Sie gelernt?“
Bewerber: „Nichts.“
Filialleiter: „Haben Sie Erfahrung im Verkauf?“
Bewerber: „Nein.“
Filialleiter: „Technisch veranlagt?“
Bewerber: „Kommt darauf an.“
Filialleiter: „Aber der Umgang mit Menschen, der liegt Ihnen?“
Bewerber: „Hm, also ‚liegen‘ ist ein großes Wort.“
Filialleiter: „Na, das hört sich doch gut an. Wir sehen uns morgen.“

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Oft sage ich mir dann: Eine Kulturgeschichte der Beratung tut not, um diesem unglaublichen Elend umfassend und nicht bloß so naturwissenschaftlich-empirisch auf den Grund zu gehen. Sie wissen schon: nicht nur erbsenzählen, sondern mit einem Schuss Metaphysik. Und penibel recherchiert und mit Grandezza niedergeschrieben müsste diese Kulturgeschichte natürlich auch sein, jawohl.

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Und dann frage ich mich auch schon, wie sie wohl beginnen würde. Wahrscheinlich folgendermaßen: „Das Wort ‚beraten‘ hat seine Wurzeln im mittelhochdeutschen ‚beruitan‘, was so viel heißt wie: eines anderen Frage nicht beantworten können – es aber trotzdem tun.“

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Dabei gäbe es heute ja die technischen Möglichkeiten, um dem Problem der Ahnungslosigkeit Herr zu werden. Stichwort: Datenbrille. Mit einem solchen taucherbrillenartigen Smart-Okular könnten Verkäufer prima Amazon-Rezensionen wiedergeben. Und zwar wahrscheinlich folgendermaßen: „Also für einen Nagel erinnert dieser Dübel sehr an eine Schraube. Deshalb von mir nur drei Sterne.“

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Doch leider bewegt sich die Datenbrillenaffinität von Baumarktbelegschaften noch auf sehr niedrigem Niveau. Wie auch folgende Pointe zum Abschluss:

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Preisfrage: „Wieso grinsen Baumarktmitarbeiter immer so dämlich?“ Antwort: „Weil der Kollege gleich kommt.“ Na ja.