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FEBER 2019

Essay

Algorithmen

Irgendwer muss den Job ja machen.

Z

ukunft ist für alle da. Da sie zudem ja irgendwie ständig beginnt, und am Anfang eines Jahres, wo sie sich nicht bloß so reinschleimt, sondern regelrecht anbricht, ganz besonders, nehme ich mir die Freiheit, im frühen Kolumnenjahr mit einem lupenreinen Zukunftsthema vorstellig zu werden: Algorithmen.

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Leserseitig werden sich jetzt viele denken: Bäh, Computer. Ich will was Lustiges über Hallenbäder vor die Sehschlitze bekommen oder etwas beschwingt Lakonisches hinsichtlich Grünzeug zwischen den Zähnen und nicht so einen öden Technik-Scheiß.

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Ich sage immer: Meine posttraumatische Belastungsstörung hindert mich daran, irgendetwas auch nur entfernt Spaßiges zu Hallenbädern zu fabrizieren. Und von gemüsigem Humor hat mir mein Anwalt abgeraten. Impulsive Veganer oder so ähnlich, ich höre da nie genau hin. Jedenfalls: Algorithmen sind wirklich super wichtig.

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Algorithmen werden irgendwann sämtliche großen Probleme der Menschheit lösen – oder verursachen. Momentan ist das in erster Linie eine Frage der Einstellung. Bis wir Näheres wissen, erfreuen uns die freundlichen Helferlein in mannigfaltiger Weise, indem sie uns etwa beim Autofahren oder Schneeschuhwandern den kürzesten Weg weisen, in fremden Städten die falschen Restaurants empfehlen, im Schach ganz fürchterlich fertigmachen oder auf Basis unserer Sehgewohnheiten weitere YouTube-Filmchen anbieten.

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Man muss sagen: Es ist gut, dass auf YouTube Algorithmen entscheiden. Menschen würden das gar nicht ertragen. Zu diesem durchwegs technophilen Urteil bin ich dank einer Beobachtung gelangt, die ich kürzlich in einem Wiener Einkaufszentrum mit angeschlossenem Hauptbahnhof machen durfte. Es spielt eigentlich ja gar keine Rolle, wo sich das Ganze zugetragen hat, aber in Zeiten verschärften Wahrheitsanspruchs an die Journaille ist man auch als Prekariats­tippse mit Hang zur Falschaussage angehalten, es ganz genau zu nehmen.

Menschen würden das gar nicht ertragen.

 

Ich also am Hauptbahnhof Wien beim Warten. Neben mir sieht sich ein älterer Mann mit Kopfhörern – speckige Lederjacke, die Haarpracht im etwa selben Fettgehalt – eine Abfolge bizarrer YouTube-Videos an, die der Umstand, dass sie in genau eben dieser Reihenfolge auf seinem Tablet abgespielt werden, noch einmal an Verrücktheit gewinnen lässt. Wenn Sie wissen, wie ein Taxifahrer in den 80er-Jahren ausgesehen hat und so freundlich sind, sich einen in Erinnerung zu rufen, dann kommen wir gut hin. Und allen anderen ist mit der Vorstellung geholfen: Es ist kein Typ, den man zu sich nach Hause einladen würde, aber in ein Gespräch ließe man sich schon verwickeln. Vor allem wenn er die Schnäpse bezahlt.

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Was als Erstes meine Aufmerksamkeit erregt, sind tanzende Sängerknaben. Zugegeben: Die Formulierung finde ich beim nochmaligen Durchlesen auch nicht optimal, aber ich werde das jetzt sicher nicht lügenpressemäßig korrigieren. Das nächste Video beinhaltet im Wesentlichen tanzende Schulmädchen, was die Sache, wenn Sie mich fragen, um genau nichts besser macht. Es folgt ein Musikvideo der deutschen 70er-Kostümterroristen von Dschinghis Khan („Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land, ho, ho, ho, ho, hey“), das schließlich von einer zweiminütigen Hollywood-Liebesszene zwischen einem bespitzbartetem Musketier und einer blonden Unschuld abgelöst wird. Danach bricht die Reihe auf Grund von Harndrang meinerseits abrupt ab. 

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Und jetzt frage ich Sie: Wie kann man sich das a) hintereinander ansehen und b) von YouTube vorgeschlagen bekommen? Man stelle sich bloß vor, das müssten Menschen entscheiden. Du, Herbert, würde der eine Vorschlagsexperte den anderen fragen, was zeigst du nach tanzenden Sängerknaben? Der andere: Schau mal, wie er auf Schulmädchen reagiert. Aber was von Ralph Siegel geht danach eigentlich immer.

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Nein, auch damit wäre wieder einmal niemandem geholfen.

 

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