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JÄNNER 2016

Essay

Raumbald

Über das dumme Wort und seine Benutzer

W

issen Sie, was ich nicht verstehe? Was da für ein Aufhebens gemacht wird. Tirol ist im neuen Album von Adele! Wahnsinn, diese Werbung, unbezahlbar, einfach sen…sa…tio…nell! Die ganze Welt spricht ja von nichts anderem, weshalb die halbe Welt bei uns Urlaub machen wird. Hipp, hipp, hurra! Und dann hört man es sich zum dritten Mal an, dieses Scheiß-Album, und das einzige, was man versteht, ist: Welcome to Altaussee. Wenn das mal keine Enttäuschung ist.

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Weil wir gerade bei Ernüchterungen sind. Die gibt es ja im Leben öfter, um nicht zu sagen: ununterbrochen. Manche erlebt fast jeder mal. Zum Beispiel in einen Faschingskrapfen beißen und keine Marmelade weit und breit. In dem ganzen elenden Germ­tatschen nicht. Andere sind eher intellektueller Natur: Beethoven – nur eine Oper; Rousseau – nicht einmal Franzose. Auch eine Kopfsache, aber genauso ungut: die Orgasmusstörung bloß vorgespielt bekommen. Und dann gibt es noch diese kleine, feine Enttäuschung hier: Jemand, den du noch nicht für total verblödet gehalten hast, verwendet das dumme Wort.

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Ich schreib das dumme Wort in seiner ganzen Erbärmlichkeit jetzt einfach mal so hin: zeitnah. So, und jetzt mache ich einen Abstand, um ebensolchen zu gewinnen. Stichwort: demonstrativ.

Schwören Sie, dass sie das Z-Wort nie in den Mund nehmen werden.

 

Jedenfalls: Früher, als das Wünschen noch geholfen hat und man Leuten furchtbare Eiterpusteln ins Gesicht oder sonst wohin reklamieren konnte, sagte man bald dazu, wenn es gute Gründe gab anzunehmen, etwas würde/sollte/könnte in absehbarer Zeit geschehen. Oder man sagte: demnächst. Oder gleich. Oder in Bälde. Mein Gott, irgendwas halt. Aber das ist ja dem Aufwachtler von heute nicht mehr wichtig genug. Da muss es schon zeitnah sein, dass dieses oder jenes Weltbewegende passiert. Zum Beispiel: die Unterlagen schicken. Oder die Bio-Jakobsmuscheln nach Hause radeln.

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Nun ist es ja so: Ich beschimpfe mein Publikum nicht. Weil: Ich bin ja nicht komplett deppert. Und Peter Handke bin ich großteils auch nicht. Aber in diesem Fall kann ich nicht anders: Wissen Sie also was, liebe Freunde des Jahres 2016? Nur absolute Eierbären im jenseitigsten Endstadium sagen zeitnah. So.

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Wer sich jetzt angegriffen fühlt, möge das Kolumnengelände verlassen. Und zwar pronto. Allen anderen rufe ich zu: Jetzt, wo die gefühlige Weihnachtszeit vorüber ist und man nicht mehr ständig an die anderen denken muss, ist es angebracht, sich wieder einmal mit dem allerwichtigsten Menschen auf der Welt zu beschäftigen: sich selbst.

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Und deshalb bitte ich Sie, schwören Sie jetzt gleich hier auf der Stelle, dass Sie das Z-Wort nie (oder nie mehr) in den Mund nehmen werden. Weil Sie kein Eierbär sind. Und die Welt nicht schlechter machen wollen, als sie eh schon ist.

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Weil es ist ja so: Sprache schafft Wirklichkeit. Stichwort: Wittgenstein. Stichwort auch: epistemische Gewalt und so weiter. Heißt für mich zum Beispiel: Seit ich mich grundsätzlich als unwiderstehlicher Starkolumnist vorstelle, werfen sich Menschen vor mir in den Staub und winseln um ein Autogramm. Heißt für Sie: Wer zeitnah sagt, bastelt mit an einer Welt der Wichtigtuer mit Xing-Premium­mitgliedschaft und alternativlosen, enkelfitten Schas-Ideen. Was wir doch bitte alle nicht wollen.

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Im Übrigen ist es wichtig, dass einem ein Speibkübel zur Verfügung steht, falls jemand zeitnah sagt. Am besten möglichst raumbald.

 

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