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JUNI 2020

Essay

Was kommt nach dem Sauerteig?

Bitte urlauben Sie zu Hause.

D

ie Rachmaninow-Etüde auf der Ukulele ist fertig einstudiert, die dritte Yoga­matte durchgewetzt. Und auch der selbst angesetzte Sauerteig beginnt mittlerweile erst nach acht Stunden zu vergammeln. Nicht wenige Freunde der Sonne fragen sich deshalb zurecht: Okay, was jetzt?

 

Stichwort: Gibt es einen Sinn des Lebens? Und falls nein: Warum finden ihn auf Instagram trotzdem alle, nur ich nicht?

 

Rückkehr zur Normalität heißt ja: endlich wieder wochentags sieben Hefeweizen in „Kurti’s Treff“ wegschlürfen. Heißt aber auch: Das in der Wellness-Gesellschaft weit verbreitete existenzielle Unbehagen drängt aus den Tiefen des Unterbewussten wieder an die Oberfläche. Weil es läuft ja so vieles so derart falsch in der Welt. Ich sage nur: soziale Ungerechtigkeit. Ich sage: Palmöl in Pizzafertigteigen und solche Sachen. Da kommt schon mal Nachdenklichkeit auf, während im Volvo-SUV der Bio-Winzer des Vertrauens angesteuert wird.

 

Man muss sagen: Wenn schon eine panzerartige Zwei-Parkplätze-Egomanenkarre, dann wenigstens von den Menschenfreunden aus dem hohen Norden. Man muss aber auch sagen: Eigentlich haben wir für in Fahrzeugen schwedischer Provenienz ausge­führte Lamentos momentan genau gar keine Zeit. Viel klüger ist es, nun unerschrocken die drängendsten Probleme anzugehen. Heißt auf deutsch: den Urlaub heuer.

 

Selbst ich als Salontrotzkist der fünften Stufe stehe nicht an, mich mit folgendem Aufruf an die urlaubsfähige Bevölkerung dieses Landes zu richten: Männer, Frauen, Kinder! Macht diesen Sommer Ferien in der Heimat! Gebt eure blutbesudelten Ausbeuter-Euros verdammt noch einmal in unserer Volkswirtschaft aus, so kapitalistisch verlottert sie auch sein mag!

Gebt eure Ausbeuter-Euros in unserer Volkswirtschaft aus!

Gottlob hat unser Land wahnsinnig viel zu bieten – und so mancher Geheimtipp kann auch den Einheimischen noch verzaubern. Ich denke da zum Beispiel an das größte Süßwasser-Korallenriff Mitteleuropas, das sich im Reintaler See auf einer illegal entsorgten Gefriertruhe gebildet hat. Oder warum nicht mal ins Museum? Etwa ins neue Coronarium in Ischgl, wo mit viel Liebe zum Detail im Rahmen einer spektakulären Multi­mediaschau nachgezeichnet wird, wie Behörden und Touristiker alles richtig gemacht haben. Sehenswert auch: die Sonderausstellung Après-Ski – seine Anfänge, sein Untergang.

 

Vielleicht sagen Sie als Leser von 6020er Stadtblatt jetzt: Moment mal, ich bin Innsbrucker. Ich werfe mein Geld sicher nicht irgendwelchen schwer verständlichen Leuten in Fremdbezirken in den Rachen. Wir müssen jetzt vor Ort zusammenhalten!

 

Keine Frage, Regionalität ist das Gebot der Stunde. Wo immer möglich, gilt es vor der Haustüre einzukaufen. Ich für meinen Teil war gerade gestern mit der Zeitmaschine in der Videothek und hab mir den neuen Rambo ausgeliehen. Außerdem wird es – das kann ich jetzt schon festhalten – heuer unter dem Weihnachtsbaum sicher keinen chinesischen Elektronik­plunder geben, sondern High-Tech aus Tirol. Ich denke da zum Beispiel an Graukäse.

 

Ja, in erster Linie denke ich an Graukäse.


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