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MAI 2018

Editorial

Über das Auge des Betrachters

B

ei dieser Wahl haben wir wieder eine Menge gelernt. Zum Beispiel, dass es immer schwieriger wird, seine Stimme in vollster Überzeugung abzugeben. Meist ist man gezwungen, nach dem Kriterium des kleinsten Übels zu entscheiden, oftmals gepaart mit taktischen Überlegungen, die mit der Wahl einhergehen.

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Bei dieser Wahl konnte man sich aber vor allem zwischen zwei grundlegenden Richtungen entscheiden und die hatten wenig mit dem jeweiligen Parteiprogramm zu tun. Die einen warben um die Gunst des Wählers mit dem Argument, dass es sich bei Innsbruck um eine lebenswerte Stadt handelt, die keine echten Probleme, maximal ein paar Radwege zu wenig hat. Die anderen versicherten eindrucksvoll, dass Innsbruck kein schöner Ort mehr ist, ja man fast schon Bedenken haben muss, hier Kinder in die Welt zu setzen. Überall Kriminalität, Drogendealer und Gewalt, man könnte fast meinen, Innsbruck sei wirklich eine Großstadt.

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Liegt die Wahrheit oft in der Mitte, tut sie es in diesem Fall nicht. Und damit hat die Politik, auch wenn sie das im Wahlkampf gerne anders darstellt, gar nicht so viel zu tun. Denn Innsbruck ist wohl der beste Ort der Welt, wenn man gerne urban leben möchte, aber dennoch die Großstadt scheut. Dank sei der geografisch genialen Lage, einmal im Sinne der Nähe zu den Nachbarn und einmal im Sinne der Nähe zur Natur. Nur gut 130.000 Einwohner, ein Viertel davon aber aus dem studentischen Umfeld machen Innsbruck zu einer der lebendigsten Kleinstädte der Welt. Viel Gastronomie und Kultur, aber auch der Mut zu echten Landmarks wie der Hungerburgbahn oder dem neuen Haus der Musik machen Innsbruck größer, als es am Papier je sein kann. Da verzeiht man auch mal Patzer wie den neuen Patscherkofel, eine idiotische Kurzparkzonenregelung oder eine Stadtbibliothek zum Preis eines Weltallflugs. Selbst Kriminalität und Gewalt sind in Innsbruck in Wahrheit einschätzbar, zumindest meist an den gleichen Orten auffindbar und dadurch meidbar. Oder anders formuliert: Wem Innsbruck nicht mehr gefällt, der sollte hier vielleicht einfach nicht leben.

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Die Politik kann – parteiübergreifend – vor allem eines tun: sich in das Wesen der Stadt hineinversetzen und überlegen, was sie aus- und vor allem noch besser macht. Denn nur wer Innsbruck lebt, kann es auch verstehen und weiter vorantreiben.

 

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