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OKTOBER 2019

Editorial

Über die Zwangsstörung Selbstzerstörung

I

n unsicheren Zeiten ist der blaue Ikarus-Ritt einer der wenigen Zyklen, auf die man sich noch verlassen kann. Denn das blaue Auf und Ab ist ja wirklich immer dasselbe: Die Basis bilden immer ein paar rechte Überbleibsel, die, anders als man meinen könnte, erschreckenderweise durch alle Bevölkerungsschichten verstreut sind. Man spricht von zirka fünf Prozent, die den oder zumindest einen Führer vermissen. Auf diesem braunen Fundament versuchen durchaus charismatische Parteichefs dann ihr Wirkungsfeld zu erweitern – Lieblingsthemen sind dabei die Sicherheit und die Gefahr aus dem bösen Ausland in all seinen Facetten (Flüchtlinge aller Art, die EU im Allgemeinen, alles Unbekannte etc.).

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Je nach Großwetterlage erweitert sich das Feld der temporären Sympathisanten auf bis zu knapp 30 Prozent. Wissenschaftler sprechen hier von der Phase der Salonfähigkeit. Zumeist mündet dieser Zyklus in einer Regierungsbeteiligung, die aber automatisch und umgehend den Selbstzerstörungsmodus aktiviert. Der Blaue an sich leidet nämlich an einer Zwangsstörung und muss das Geleistete sofort kaputt machen, ja man könnte von einem notorischen Disharmonie-Bedürfnis sprechen. 

Hätte er sich nicht so trottelhaft verhalten, könnte er einem fast leidtun.

Es folgt das frühzeitige Ende der jeweiligen Regierungsbeteiligung, die Armageddon-Phase wird eingeleitet, sie versetzt Parteichef und Partei wieder an den Anfang der Geschichte. Fuhren erstere früher noch mit dem Auto gegen die Wand, wählte der letzte weitaus schmerzhaftere Wege. Als Verräter der eigenen Paradigmen gebrandmarkt, ist die politische Karriere des HC Strache sowieso vorbei, aber auch sonst dürfte er nur noch schwer Fuß fassen können. Hätte er sich nicht so trottelhaft verhalten, könnte er einem fast leidtun. Zyniker behaupten sogar, dass sich seine Frau nur nicht scheiden lässt, weil sie keinen Unterhalt bezahlen will.

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Doch irgendwie scheint diesmal doch alles anders: Es teilen sich nicht zwei Großparteien die blauen Krümel, es gibt nämlich nur noch eine Großpartei und eine Partei, bei der zwar die Richtung, aber nicht das Ergebnis stimmt. Und ein Parteichef mit den Fähigkeiten eines Straches oder gar Haiders ist auch nicht in Sichtweite. Gleichzeitig fürchtet sich Europa inzwischen mehr vor Wetter- als vor Flüchtlingsströmen. Vielleicht ist ja diesmal wirklich alles anders – oder es dauert einfach nur länger, bis der blaue Zyklus wieder von vorne beginnt.

 

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