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JUNI 2019

Editorial

Über den politischen Stillstand

W

ir Innsbrucker kennen uns aus mit der Unregierbarkeit. Weil die bürgerliche Mitte angeschlagen ist, die SPÖ sich bundesweit darauf geeinigt hat, die totale Bedeutungslosigkeit zu perfektionieren, und die FPÖ eben die FPÖ ist, gibt es für unseren Bürgermeister derzeit keine sinnstiftenden Koalitionsmöglichkeiten. Deshalb assoziieren die Innsbrucker Bürgermeister Willi nach einem Jahr im Amt vor allem mit menschlichen Qualitäten, kurz: Er ist ein netter Kerl. Für Innsbruck reicht das allemal, ja grenzt schon fast an Über­qualifikation.

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Denn würde man heute wieder wählen, bekäme Willi sicherlich noch mehr Zustimmung und würde fulminant im Amt bestätigt werden. Wohl kaum wegen der politischen Leistungen des letzten Jahres, ganz sicher nicht, weil er Mehrheiten für wichtige Projekte fand oder gar überhaupt wichtige Projekte anging. Er ist schlichtweg der Einäugige unter den Blinden und obendrauf unter den Einäugigen der sympathischste, den man sich nur wünschen kann.

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Für den politischen Stillstand in der Stadt kann man ihn nur begrenzt verantwortlich machen, denn rein mathematisch gehen sich einfach keine Mehrheiten aus. Und so muss Willi zynischerweise hoffen, dass sich entweder die Roten oder die Schwarzen doch einmal erholen, damit es wieder einen echten Koalitionspartner gibt. Gefragt ist hier der Landeshauptmann, der das Spiel ÖVP und Für Innsbruck schon viel zu lange geschehen lässt. Warum ist Oppitz-Plörer immer noch Vizebürgermeisterin, obwohl die Menschen sie abgewählt haben? Und wo ist eigentlich dieser Kontrollamtsbericht, der uns erklären kann, warum man so viel Geld für eine Patscherkofelbahn ausgegeben hat? Ach ja, und wie lange braucht Vizebürgermeister Gruber eigentlich für seinen angekündigten Rückzug – wird das etwa ein Gruxit?

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Im Bund, der dieser Tage das Geschehen dominiert, ist die Situation anders, aber doch ganz ähnlich. Wenn die Flut an Ibiza-WhatsApp-Nachrichten wieder abebbt und das große Vergessen beginnt, rechtzeitig zur Wahl im September, stellt sich auch hier die Frage der Unregierbarkeit. Denn mit wem will Sebastian Kurz eigentlich regieren, wenn die Blauen und die Roten nicht in Frage kommen und die anderen zu klein für eine Mehrheit sind? Das sieht jetzt schon nach einem ähnlich faulen Kompromiss wie in Innsbruck aus, der nicht viel weiterbringen kann. Wer hätte das gedacht, jetzt haben wir bei Georg Willi und Sebastian Kurz doch noch eine Gemeinsamkeit gefunden.

 

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