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JUNI 2019

Coverstory

Die E-Scooter sind da

Mit Ende Mai ist der erste E-Scooter-Verleiher in der Stadt aufgeschlagen. Bald werden auch bei uns die viel diskutierten E-Scooter das Straßenbild prägen. Die Stadt Innsbruck und ihre Bürger rüsten sich bereits für einen ästhetischen Fauxpas auf zwei Rädern.

Illustration: Alina Klampfer
W

er geglaubt hat, dass der Segway (ja, die Dinger, auf denen der Kaufhaus-Cop, reiche Pseudo-Elon-Musks und Sandalen-und-Socken-Touristen in den frühen 2010ern durch Innenstädte cruisten) nur ein kleiner Sackgassentrend war, der hat sich getäuscht. Mittlerweile ist der smarte Abkömmling aus der Familie der experimentellen Fahrzeuge für die obere Mittelschicht unter dem Namen „E-Scooter“ auf dem Vormarsch.

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Seit einigen Monaten überrollt das Skateboard für Tollpatschige oder das Fahrrad für Faule die smarten Zentren der Städte Nordamerikas, Mitteleuropas, und schon bald Innsbruck selbst. Schon im Vorhinein haben sich sechs Firmen im Büro von Verkehrsstadträtin Uschi Schwarzl gemeldet und Interesse bekundet an der E-Scooter-Versorgung der Alpenstadt. „Ihr Interesse zeigt uns, dass sie mit den Kommunen zusammenarbeiten wollen“, begrüßt Schwarzl das Entgegenkommen der Betreiber.

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Für einen Anbieter ist eine Innsbrucker Flotte bereits ausgemachte Sache: Tier Mobility bringt mit Ende Mai die ersten E-Scooter nach Innsbruck. Die 100 E-Scooter sollen laut Pressesprecher Daniel Fuchs-Bauer schon bald auf 150 Stück aufgestockt werden. Mit den E-Scootern kommt auch ein betriebsinterner „City Manager“, der sich vor Ort um etwaige Anliegen und den Betrieb kümmern wird.

„Selbst­verständlich werden wir uns an die Regeln halten.“

Daniel Fuchs-Bauer, Tier Mobility

Spielregeln.

Menschen, die sich weder regelmäßig die großen Boulevardgazetten zu Gemüte führen noch grantigen Kunstschaffenden auf Twitter folgen, haben die Zustände in der Bundeshauptstadt vermutlich nicht mitbekommen. Man hört und liest von über 200 Unfällen (mit einer weit höheren Dunkelziffer) im letzten Quartal 2018, von rund 6.240 E-Scootern im Wiener Stadtgebiet und immer wieder die Namen der größten Betreiber: Tier, Wind, Lime, Bird und Flash.

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Damit die Firmen mit den Namen würdig eines West-Kardashian-Nachkommens sofort lernen, dass auf Innsbrucks Straßen Zucht und Ordnung herrschen, hat das Innsbrucker Infrastrukturbüro den Betreibern bereits vom Stadtsenat abgesegnete „Akkreditierungsvereinbarungen“ für die stationslosen E-Scooter zukommen lassen – stationslos, weil die Firmen selbst die Geräte warten und laden. Diese nicht verbindlichen Regeln sollen den Alltag von E-Scooter-Fahrern regeln.

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Die „maximale Betriebszeit“ der E-Scooter geht von 6 bis 20 Uhr. Ausgebracht und abgeholt dürfen die E-Scooter nur abseits der touristischen Ballungszentren werden. Wer sich nicht dran hält, den hindert wie in Wien das GPS und das Weiterlaufen der E-Scooter-Leihgebüren in den roten Zonen. Im Stadtgebiet sind die E-Scooter auf 18 km/h gedrosselt, in der Fußgängerzone auf 5 km/h, „sodass der Nutzer auch gleich schieben kann“, so Schwarzl.

„Ich hoffe, dass sich die Firmen an die Regeln halten. Und wenn nicht, dann scheue ich nicht, eine Verordnung zu erlassen.“

Verkehrs-StRin. Uschi Schwarzl

Auf guten Willen angewiesen.

Pro Anbieter sind vorerst 150 bereitgestellte E-Scooter vorgesehen. E-Scooter in den Fahrzeugen der IVB sind – wie neuerdings Downhill-Bikes – bis auf Weiteres tabu. Bei all der Klarheit im E-Scooter-Pamphlet ist man dennoch auf den guten Willen der Betreiber angewiesen. Stadträtin Schwarzl: „Ich hoffe, dass sich die Firmen daran halten. Und wenn nicht, dann scheue ich nicht, eine Verordnung zu erlassen.“ Bis dahin verlässt sich die Stadt darauf, dass die Betreiber aus Angst vor schlechter Publicity die Innsbrucker „Akkreditierungsvereinbarung“ akzeptieren. „Selbstverständlich werden wir uns an die Regeln halten. Unser Bestreben ist es, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen“, verspricht Daniel Fuchs-Bauer von Tier Mobility. Der Anbieter habe die „Akkreditierungsvereinbarung“ bereits unterschrieben. So will das Unternehmen auch, solange es die Stadt so vorschreibt, bei den 150 E-Scooter im Stadtgebiet bleiben.

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Für die Handhabung der E-Scooter im Straßenverkehr hat man bundesweit bereits eine Lösung gefunden. Die Polizei Wien kategorisiert, wie man es auch in Innsbruck handhabt, die E-Scooter bereits als Fahrräder. In der am 1. Juni in Kraft tretenden Novelle der Straßenverkehrsordnung hat man „die Regelungen, die seit Beginn der Einführung der Geräte seitens der Stadt Wien für E-Tretroller festgelegt wurden“, übernommen, wie es aus der Polizei-Pressestelle heißt. Laut der Stadtinformation Wien scheint die Angst vor einer E-Scooter-Plage trotz des Trubels unbegründet. Im Vergleich zu Leihfahrrädern hielten sich „die Beschwerden in Grenzen“.

Sind die Dinger gefährlich?*

10 % der E-Scooter-Nutzer tragen einen Helm.
6 % hatten bereits einen Unfall.
20 % hatten beinahe einen Unfall.

 

  • 200 Unfälle gab es im letzten Quartal 2018
  • 7 Unfälle mit Personenschaden hat die Polizei Wien von Oktober bis März verzeichnet
  • 6.240 E-Scooter sind in Wien bereits unterwegs, Tendenz steigend


* Quellen: Kuratorium für Verkehrssicherheit (https://www.kfv.at/e-scooter-aktuelle-erhebung-zeigt-nur-wenige-tragen-helm), Standard https://derstandard.at/2000102477462/Wann-E-Scooter-Fahrer-bei-Unfaellen-versichert-sind/Polizei Wien/Stadtinformation Wien

„Ökologisch sind die Dinger nicht.“

Die Roller mit Elektromotor haben eine Reichweite von 20 bis 30 Kilometern, sind auf 18 km/h gedrosselt und mit einer Grundgebühr von einem Euro plus 15 Cent pro Minute je nach Strecke nicht wirklich billiger als Öffis. Laut einer Recherche des Blogs Oversharing halten manche der E-Scooter nur 28 Tage durch, bis sie kaputtgehen. „Ökologisch sind die Dinger nicht“, meint Uschi Schwarzl. Dem stimmt auch Markus Mailer, Professor am Arbeitsbereich für Intelligente Verkehrssysteme der Universität Innsbruck, zu. „E-Scooter-Firmen sind naturgemäß gewinnorientiert und sind schnell weg, wenn es kein Geschäft mehr ist.“ Die Nachfrage nach einem bequemen Fortbewegungsmittel ist zwar immer vorhanden, dennoch würden die E-Scooter für eine nachhaltige Stadt nur dann Vorteile bringen, „wenn die E-Scooter als Teil einer Mobilitätskette mit dem öffentlichen Nahverkehr fungieren und dadurch weniger Leute Auto fahren“. Es wäre nicht nachhaltig, wenn sie vor allem Fuß- oder Radwege ersetzen.

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In der Praxis kann die von der StVO vorgeschriebene Gleichsetzung von E-Scootern und Fahrrädern ein Problem darstellen, auch wenn das Konfliktpotenzial zwischen den beiden Gruppen in puncto Geschwindigkeit gering ist. E-Scooter dürfen laut „Akkreditierungsvereinbarung“ in der Maria-Theresien-Straße 5 km/h fahren und Radfahrer gar nicht. „Wenn rechtlich erlaubt wird, dass die E-Scooter in der Fußgängerzone fahren, dann werden die Radfahrer fragen: Warum wir nicht?“, kommentiert Mailer. Außerdem könne eine geplante Drosselung nur bei Leihscootern, also nicht bei privaten durchgeführt werden. „Da muss man sich darauf verlassen, dass die Leute die Regelung einhalten, oder überwachen und strafen.“

Zukunftsperspektiven.  

Was es für den zukünftigen Umgang mit E-Scootern vor allem braucht, ist ein gesundes Bewusstsein der und im Umgang mit den neuen Verkehrsteilnehmern. „Die Geräte sind, wie sie im Moment benutzt werden, recht gefährlich“, meint Mailer. E-Scooter-Fahrer müssen sich an die Verkehrsregeln für Fahrradfahrer halten, die viele nicht kennen –  beispielsweise die Annäherung an Radfahrerüberfahrten mit maximal zehn km/h. Der Experte empfiehlt den Gebrauch eines Schutzhelms, denn „fast ein Drittel der nach E-Scooter-Unfällen in Krankenhäusern Behandelten haben Kopfverletzungen.“

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Ob der E-Scooter nur eine Übergangs­lösung darstellt oder nicht, wird sich zeigen. „Ich glaube, das ist ein Hype, der wieder abebben wird“, denkt Uschi Schwarzl. Im schlimmsten Fall bleiben die E-Scooter einer der ästhetischen Ausrutscher 2019, die Vehikel gewordenen Vokuhilas unserer Zeit. Roland Barthes hätte darüber vielleicht einen Essay geschrieben oder wäre gar selbst durch die Fußgängerzone von Paris gefahren. Die weisesten Schlussworte in der E-Scooter-Debatte hat dennoch die Band Oasis parat: „You gotta roll with it, you gotta take your time.“

„Die Geräte sind, wie sie im Moment benutzt werden, recht gefährlich.“

Prof. Markus Mailer, Uni Innsbruck

Die Anbieter**

Tier ist in Innsbruck der erste E-Scooter-Verleiher, in Wien gibt es bereits sechs, von denen wohl einige nach Innsbruck nachkommen werden.

Tier Mobility
kommen mit 100 E-Scootern, bald sollen es 150 werden.

Weitere Anbieter: Hive, Bird, Lime, Wind, Flash

 

  • Grundgebühr: 1 Euro (= Basis) + 15 Cent/Minute
  • Reichweite: mind. 20 km
  • Maximalgeschwindigkeit: 25 km/h
  • Betriebszeit: von 7 bis 22 Uhr