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NOVEMBER 2015

editorial

Absolut Relativ

 

Ü

berflutungen in China, Atomunglücke in Japan, Hungersnöte in Afrika, Kriegsfronten in Syrien, IS-Terror. Allesamt Katastrophen, die abertausende Tote fordern und Überlebende zu traumatisierten Zeugen werden lassen. Es passiert viel Furchtbares auf der Welt und man darf von Glück sprechen, in einer so friedlichen, sicheren und noch obendrein wunderschönen Gegend leben zu dürfen. Diese Erkenntnis und die im Idealfall damit einhergehende Demut währen meist nur kurz. Der Egoismus – hier in seiner Basisfunktion des Überlebenstriebes – lässt selten längerfristige Sentimentalitäten zu. Schnell ist man bei den eigenen Problemen angelangt, die im objektiven und weltweiten Vergleich wohl kaum als solche durchgingen. Durch geschickte Verdrängung oder auch sinnvolle Ablenkung werden große Welten schnell wieder klein und die eigenen, in Relation kleinen Sorgen noch schneller wieder groß.

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Schwieriger zu regeln ist der emotionale Haushalt, wenn Unglück im unmittelbaren Umfeld passiert. „Mitgefühl ist regional“, könnte der Titel jenes Buches lauten, das erklärt, warum man mehr empfindet, wenn sich jemand in Tirol den Knöchel verstaucht als wenn 100 Menschen am Ende der Welt ertrinken. Ein eigenes Kapitel könnte sich dem Phänomen widmen, dass es viel einfacher ist, gegen Flüchtlinge zu sein, wenn man noch nie in seinem Leben einen getroffen hat. Und nur logisch, dass man im Epilog erfahren würde, dass Mitgefühl wieder nur auf Egoismus basiert, diesmal als Schafspelz für die eigene Angst. Man kann sich einfach viel besser in das Unglück hineinversetzen, wenn es in der eigenen Umgebung passiert. Je näher die Katastrophe, desto realer die Vorstellungskraft, man könnte Teil von ihr sein, es hätte einen selbst erwischen können.

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In der Flüchtlingskrise werden internationales und regionales Mitleid erstmals miteinander verbunden. Der Krieg im Ausland hat plötzlich Einfluss auf unser friedliches Leben, die wirtschaftliche Not treibt Arme in unser noch reiches Land. Aber wem hilft unser Mitleid überhaupt, egal ob regional oder international, ob rational oder irrational? Hungernden Kindern wohl kaum, traumatisierten Witwen eher nicht und die wenigsten Toten sind dadurch wieder zum Leben erweckt worden. Hilft das Mitleid etwa uns selbst? Helfen wahrscheinlich nicht, aber dank ihm schämt man sich weniger für das eigene Glück und vor allem das, was wir Unglück nennen.

 

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