„Zervas. Heute ist Doktor-David-Erklär-Tag. Wer hat zurzeit den coolsten Busen?“ oder „Ich legte den Kopf auf Gunthers Schoß, der es offenbar sehr genoss“ – Innsbruck hat wirklich ein paar kreative Tagebuchschreiber. Fällt dir in solchen Momenten ein Stein vom Herzen? Diana Köhle: Als ich die Kandidaten kennenlernte, wusste ich, dass die was Gutes bringen würden. Ich kenne die Texte vorher ja nie. Im Treibhaus waren viele klassische Teenie-Geschichten dabei und die kommen am besten an. Und in der Regel gewinnen immer die, bei denen man das Gefühl hat, da sitzt die zwölfjährige Daniela von damals auf der Bühne – so wie in Innsbruck.
Vor jeder Show besteht die Gefahr, dass die Teilnehmenden nichts Spannendes bringen, oder? Niemand hat Tagebuch geschrieben, um daraus vorzulesen. Außerdem bekommt jeder nur fünf Minuten zum Vortragen – und die sind auch erträglich, wenn einer einmal nicht so der Reißer ist. Das spiegelt einfach die Vielfalt wider. Jede Show ist eine Überraschung. Vor kurzem zum Beispiel gab ein 68-Jähriger seine Jugend-Gedanken zum Besten. Er war anfangs recht unauffällig, dann begann er: „Heute hatte ich meinen ersten Samenerguss. Glaube ich zumindest.“ Ich war fassungslos! Im Grunde saß eine Papa-Figur auf der Bühne, und so was will man vom Papa nicht hören. Ein anderes Mal las eine ältere Dame nur vom Segeln vor. Das war irgendwann so absurd, dass es wieder witzig war. Egal worum es geht, irgendjemand findet es immer lustig.
Glaubst du, dass das Vorgelesene immer stimmt? Ich vertraue den Teilnehmern. Bei der Anmeldung müssen sie sechs Fragen beantworten, damit ich ein bisschen was über sie weiß. Bereits durch diesen Mail-Verkehr merkt man, wie die Leute drauf sind. Und bei der Show müssen alle ihre Originaltagebücher mitnehmen.
„Der nackte Typ aus dem Slam war der Frontman von Wanda.“
Diana Köhle
In Innsbruck war die erste Show ein voller Erfolg. Wie war es, dein Baby deiner Heimat zu präsentieren? Ich war extrem nervös. Ich bin vor zwölf Jahren von Innsbruck nach Wien gezogen. Damals war das Treibhaus einer der wichtigsten Veranstaltungsorte. Zurückzukommen und hier selbst etwas zu machen, ist besonders schön. Und dass es aufging, war noch einmal schöner. Mich hätte es echt geärgert, wenn es in Innsbruck nicht geklappt hätte.
Die Tagebucheinträge sind meist Storys aus der Pubertät. Da ist auch viel Unanständiges dabei. Ist dir das manchmal peinlich? Mittlerweile ist mir nichts mehr peinlich. Bei den Tagebuch-Slams wird klar, dass es uns allen irgendwie doch gleich ging. Im Besonderen, wenn verschiedene Generationen mitmachen. Fünf Frauen – Jahrgang 1950, 1960, 1970, 1980 und 1990 – haben bei einem Slam über ihr Ich mit zwölf vorgelesen und mehr oder weniger war es immer dasselbe. Die eine hatte halt schon ein Handy, die andere schrieb noch Briefe.
Du könntest ja fast schon eine Sozialstudie machen. Bestimmt. Interessant finde ich, wie viele Männer Tagebuch schreiben. Oder, dass jüngere Leute problemlos aus ihrem Tagebuch vorlesen. Durch Facebook, Bloggen usw. wird eh alles öffentlich. In Wien fällt mir auf, dass es schwierig ist, die 1970er-Jahrgänge aus der Reserve zu locken. Warum auch immer. Ältere Menschen finden eine Zeitreise in die Vergangenheit oft spannend und erzählen gerne aus ihrer Jugend. In kleinen Orten wiederum kennt jeder jeden. In Feldkirch zum Beispiel vertraute ein Mädl ihrem Tagebuch an, dass sie in den Pfarrer verliebt war. Nach der Show traten vier, fünf Mädchen an sie heran und sagten: „Ich weiß genau, von wem du geschrieben hast. Das war der Pfarrer soundso. Mir ging es genauso.“
Du moderierst nicht nur, sondern liest auch selbst vor. Erklär uns bitte, was das Reizvolle daran ist. Ich persönlich mache es nur, weil ich es auch von den anderen verlange. Das hilft, die Kandidaten und das Publikum einzuheizen. Mittlerweile weiß ich auch, dass es eine Liebesstory sein muss. Ich glaube, man liest aus Tagebüchern, weil man inzwischen über diese Zeit lacht und es befreiend wirkt. Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid. Aus dem heutigen Standpunkt sind die größten Probleme von damals einfach nichtig. Außerdem ist es eine Art Abrechnung mit sich selbst: „Was! Das war ich einmal?“ oder „Das bin ich noch eins zu eins“.
Und zum Schluss: Erzähl uns bitte von deinem unangenehmsten Gast. Ich moderiere nun seit elf Jahren Poetry-Slams und musste erst zweimal einen Kandidaten disqualifizieren. Einen davon vor fünf Jahren. Das war so: Bereits im Vorfeld kam mir der Teilnehmer ein bisschen komisch vor. Er ging auf die Bühne, hatte keine Notizen dabei und begann, das Publikum zu beschimpfen. So weit, so gut. Das war nichts Neues. Auf einmal riss er sich aber sein Hemd auf. Ich dachte nur: „Aha, sehr theatralisch.“ Dann zog er sich auch noch die Hose runter und stand nackt vor den Zuschauern. Ich ließ ihn trotzdem slammen. Bis er plötzlich den Noten- und Mikroständer in das Publikum warf. Da musste ich eingreifen und ihn von der Bühne zerren. Schließlich ist er abgehauen. Ich habe ihn dann lange nicht mehr gesehen. Bis ich vor ein paar Monaten das Gesicht des Sängers meiner neuen Lieblingsband sehen wollte. Ich sah mir das Video von „Bologna“ an und war fassungslos – der nackte Typ aus dem Slam war der Frontman von Wanda. Die Nacktfotos von damals habe ich immer noch. Seither gilt die Regel: „Keine Entblößungen sind erlaubt. Hatten wir schon. Ist nicht so ein schöner Anblick.“
Vielen Dank für das Gespräch.
Diana Köhle & der Tagebuch-Slam
Das Format funktioniert nach dem Poetry-Slam-Prinzip, mit dem Unterschied, dass Tagebuch-Einträge vorgelesen werden. Jeder Teilnehmer hat fünf Minuten Zeit. Im Anschluss bestimmt das Publikum über den Gewinner. Vor zwei Jahren brachte die Poetry-Slam-Moderatorin Diana Köhle das Format nach Wien, wo es inzwischen monatlich stattfindet. Nach fünf Auftritten bei Dienstagnacht im ORF, tritt die Tirolerin mit ihrer Show nun auch außerhalb der Hauptstadt auf. Für den November-Termin in Innsbruck werden noch Teilnehmer gesucht. Anmeldungen unter [email protected]
Weitere Termine:
8. 11. 2015 im Treibhaus,
Beginn: 20.05 Uhr