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AUGUST 2016

Editorial

Über das Ende vom Paradies

E

s scheint fast, als wäre hier ein Wettbewerb im Gange. Gewinner ist dabei derjenige, dem die brutalsten Methoden einfallen, um Ungläubige in Jenseits zu befördern. Ganz vorne dabei in der Zwischenwertung ist Mohamed Lahouaiej Bouhlel, der mit seinem LKW-Einsatz in Nizza nicht nur besonders grausam vorging, sondern mit 84 Menschenleben auch kaum an Effizienz zu überbieten war. Der 17-Jährige, der wenige Tage später in einem Regionalzug in Würzburg aus vier Reisenden aus Honkong vier Schwerverletzte werden ließ, wird sich hingegen im Paradies einiges anhören müssen – wie es aussieht, werden alle Opfer überleben und auch eine Axt gilt als Mordinstrument als mäßig einfallsreich, ist sie doch in jedem Baumarkt erhältlich. Origineller ging da schon ein 21-jähriger Asylwerber in Reutlingen vor. Mit einer Machete hat der nämlich eine Frau getötet und fünf weitere verletzt. Er selbst wurde frei nach der Nizza-Methode von einem Auto überfahren. Ein 27-jähriger Syrer wählte bei einem Musikfestival in Bayern hingegen den Klassiker. Er zündete seinen mit Sprengstoff gefüllten Rucksack und schaffte das Kunststück, nur sich selbst in den Tod zu reißen. Immerhin konnte er 15 Menschen verletzen. Bei David S. aus München konnte man eigentlich gleich erahnen, dass der nicht Teilnehmer des Wettbewerbes, sondern ein ganz herkömmlicher Amokläufer war. Pistole und Einkaufszentrum sind eindeutige Indizien für einen Normalo-Amokläufer, Wettbewerbsteilnehmer würden hier eher auf Maschinengewehr und Konzert setzen.

Für mich ist der ganze Wahnsinn, der mitten unter uns passiert, kein Asylproblem und schon gar kein Ausländerthema.

Michael Steinlechner

Ja, Zynismus hilft auch in schweren Zeiten und, ja, Sarkasmus hilft über Angst und Sorge – zumindest kurzfristig – hinweg. Und ja, ich vermische hier absichtlich Terroranschläge, Amokläufe und sonstiges Gräueltaten. Warum? Weil sie bei mir gleich ankommen: Ein oder mehrere Wahnsinnige rauben Unschuldigen das Leben, noch schlimmer, reißen diese aus der Mitte anderer und zwar völlig ohne Grund. Und es ist der grundlose und plötzliche Tod, der am schwersten zu akzeptieren ist. Das Ableben eines jungen Autofahrers, der im Tunnel nicht aufpasst, ist es, was uns aus der Bahn wirft, und nicht der Opa, der schon im Krieg nicht mehr der jüngste war und jetzt friedlich eingeschlafen ist.

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Für mich ist der ganze Wahnsinn, der mitten unter uns passiert, kein Asylproblem und schon gar kein Ausländerthema. Es ist ein gesellschaftliches Drama, in dem es sich um arm und reich, Perspektiven und Auswegslosigkeit dreht. Hätten wir manche Probleme ohne Asylwerber nicht? Absolut ja. Würden wir die gleichen Probleme mit der Zeit trotzdem bekommen? Vermutlich schon. Kurzum: Wer in der Lage ist, solch grausame Taten zu vollbringen, muss traumatisiert und/oder geisteskrank sein und darf absolut keine Perspektiven haben, für die es sich lohnt, zu leben oder zumindest nicht zu sterben. Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist es, diese Perspektiven zu erschaffen und am Leben zu erhalten. Unsere Pflicht als Individuum ist es, dass wir es uns nicht zu leicht machen, nicht einfach wegsehen und vor allem nicht pauschal urteilen. Denn wenn wir in der Zwischenzeit eines gelernt haben, dann das, dass der Wahnsinn viele Gesichter hat.

 

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