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AUGUST 2020

Editorial

Über einen Sommer wie niemals

W

er hätte das gedacht? Plötzlich – einfach so – kommt ein Jahr, das so ganz anders ist. Wie viel haben wir in den letzten Monaten gelernt: Dass wir nicht unbedingt in den Urlaub fahren müssen, zum Beispiel. Oder dass wir auch ohne Partys ganz gut überleben können. Dass ein Thema keineswegs einfacher wird, wenn es die ganze Welt betrifft, natürlich. Besonders aber, dass man sich dem Thema Corona nicht entziehen kann, egal, wie man dazu steht. Jeder einzelne von uns ist mittendrin statt nur dabei.

 

Dabei geht es nicht um die vordergründigen Insignien der Krise – das Busfahren und das Einkaufen mit Maske oder die Dauerbeschallung der Medien, die uns pflichtgetreu über jede Neuinfektion informieren. Es geht um die Dinge, die unser Verhalten, unseren Alltag verändern. Denn so viel Schaden dieses Virus auch im menschlichen Körper anrichten mag, es belastet vor allem die Psyche. Und zwar die der gesamten Bevölkerung. War unser Handeln vor Corona wenig nachhaltig und nur allzu oft rein egoistisch motiviert, dominieren jetzt Angst und Verunsicherung. Unser westlich geprägtes Hirn arbeitet nicht gerne ohne verlässliche Zukunftsvorhersagen und klare Zeitangaben. Wir leiden darunter, dass wir nicht wissen, wie, wann und ob sich die Wirtschaft erholen wird. Viele haben schlaflose Nächte, wenn sie an die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes denken. Und auch die Freuden der Freizeit sind getrübt: Soll man überhaupt auf Urlaub fahren? Und wenn ja, wohin? Gibt es wieder Feiern oder gar Konzerte? Und wann ist das alles endlich kein Thema mehr?

 

Wie gut, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Ich denke nicht an wirtschaftliche Überlegungen, die uns zu ungeahntem Einfallsreichtum beflügelt. Und auch nicht an den großen gesellschaftlichen Wandel, der uns alle zu nachhaltigen, nicht-fliegenden Veganern macht. Nein, ich spreche davon, dass wir gezwungen werden, im Moment zu leben.Wenn man nicht weiß, was die Zukunft für einen bereit hält, sollte man sich besser an der Gegenwart orientieren. Eine schwierige Übung, die sich aber allemal lohnt. Oder wie Karl Valentin die Schwächen unseres Denkens einst so treffend auf den Punkt gebracht hat: „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“


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