on Vasco da Gama ist der Satz überliefert: „Die größten Abenteuer erlebt man immer noch im Wirtshaus.“ Nun, überliefert ist vielleicht ein bisschen viel gesagt. Wir bewegen uns hier tendenziell eher im sinngemäßen Bereich. Das heißt: Wenn man annimmt, Herr Gama habe es zumindest so gemeint oder wenigstens sehr wahrscheinlich keine Gründe gehabt, gegenteiliger Ansicht zu sein, tut man dem großen portugiesischen Seefahrer kein Unrecht. Jedenfalls kein großes. Ich meine, der gute Mann ist seit beinahe 500 Jahren tot, da hat es doch keinen Sinn, in alten Wunden herumzustochern.
//Während man hierzulande Schafsaugen als ein Sehgerät betrachtet, das man gerne unseren vierbeinigen Wolllieferanten überlässt, gelten sie in weiten Teilen Arabiens und der asiatischen Steppe als Delikatesse. Gekocht oder paniert kommen sie auf den Tisch, wenn Mutti keine Zeit hatte, Fischstäbchen zu besorgen. Der echte Connaisseur bevorzugt allerdings die unbehandelte Variante. Nur ein Spritzer Zitronensaft, eine Prise Salz – und schon ist ein so nahr- wie schmackhaftes Gericht gezaubert.
//Die wahrscheinlich besten Schafsaugen der Welt gibt es bei Ibu Hadi, der in der Altstadt von Aden im Jemen ein kleines Restaurant betreibt. Sie sind zart und doch bissfest, das Aroma ausgewogen, mit einer leicht nussigen Note, die an Jakobsmuscheln erinnert.
//Herr Hadi lacht viel und gibt bereitwillig Auskunft über seine Kochkunst. „Schauen Sie“, erzählte mir der sympathische Schnurrbartträger vor ein paar Jahren bei einem Ziegenmilchfrappé, „erstens zählen die führenden Schafe der Region zu unseren Lieferanten. Und zweitens haben wir einen Weg gefunden, wie wir den Geschmack der Augen noch etwas feiner hinbekommen.“ Wie das genau funktioniert, wollte mir Herr Hadi allerdings auch auf mein mehrmaliges Bitten hin partout nicht verraten.
//Doch er hatte meine Neugierde geweckt und so machte ich mich daran, das Geheimnis der Schafsaugen zu ergründen.
Sie sind zart und doch bissfest, das Aroma ausgewogen.
E
s kostete mich einen halben Nachmittag, ein fast vollständiges Kaffeeservice für zwölf Personen und noch einiges an Bakschisch, aber schließlich fand ich einen Cousin eines Schwagers eines ehemaligen Mitarbeiters von Herrn Hadi, der zu reden bereit war.
//„Die Sache ist ganz einfach“, sagte der nicht ganz so sympathische Schnurrbartträger, nachdem wir vor dem Gewusel in der Altstadt Zuflucht in einer ruhigen Seitengasse gesucht hatten und ein 500-Rial-Schein von meiner Hand in seine gewandert war, „die Schafe bekommen vor der Schlachtung noch etwas zu sehen.“ Er blickte verschwörerisch nach beiden Seiten, um in gedämpftem Ton fortzufahren: „Hadi zeigt den Schafen zwei Wochen lang jeden Abend Jungfrauen. Und zwar, wie sie Gott erschaffen hat.“
//„Wie sie Gott erschaffen hat“, wiederholte ich ungläubig. Mein Informant nickte fröhlich.
– „Nackte Jungfrauen?“
– „Jep, zehn Stück, jeden Abend nach den Acht-Uhr-Nachrichten.“
– „Möchten Sie damit behaupten, dass eine nackte Frau bei einem Schaf irgendetwas auslöst?“
– „Beim Schaf selbst vielleicht nicht unbedingt, das ist zweifellos Veranlagung. Bestimmt aber in seinen Augen. Der optische Reiz einer unbekleideten Jungfrau ist universell, müssen Sie wissen. Nervenbahnen und Gewebe werden dadurch aktiviert. Und das schmeckt man.“
„Ibu Hadi verkauft also glückliche Augen von vielleicht glücklichen Schafen“, murmelte ich konsterniert. Der geschäftstüchtige Schnurrbartträger versenkte die Banknote in der Brusttasche seines Hemds und ordnete sich wieder in den Fußgängerfließverkehr ein. Freilich: Meine Frage nach den Verfeinerungsmethoden für Stierhoden blieb damit unbeantwortet.