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MAI 2018

Essay

Bordfunk

Oder: Captain Wal... antwortet.

I

m Gegensatz zu diversen Neurotikern habe ich keine Angst vorm Fliegen. Vielmehr schlage ich mich mit der Sorge herum, in einem Flugzeug abzustürzen und – was die unbefriedigende Situation noch verschlimmern würde – dabei obendrein umzukommen. Irgendein Beförderungsexperte führt hier dann gerne aus, ein Flieger sei statistisch betrachtet immer noch das sicherste Verkehrsmittel, worauf ich für gewöhnlich entgegne: „Bei Ihrem Gewicht müssten Sie statistisch betrachtet fünfzehn Zentimeter größer sein.“

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Als K. und ich vor ein paar Jahren einen Flieger Richtung Strand­urlaub bestiegen, war ich bemüht, mir meine Nervosität möglichst nicht anmerken zu lassen. Beim Eingang begrüßte uns eine offenbar bewusst herbeigeführte Zusammenrottung von freundlich lächelnden Stewardessen. Ich unternahm den Versuch einer Erwiderung, die mir allerdings derart schlecht geriet, dass K., als wir auf unseren Sitzen im hinteren Teil des Flugzeugs Platz genommen hatten, mir zuflüsterte, ich solle mich beruhigen, alles sei in bester Ordnung. „Soweit du das beurteilen kannst“, fügte ich laut hinzu.

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Ein wenig später in der Luft wollte ich mich gerade dem Propagandablatt der Airline widmen, als ein Knacken ertönte, dem ein kurzes Rauschen folgte. Dann begann eine sonore Männerstimme zu sprechen: „Sehr geehrte Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän Wal...“, heftiges Rauschen setzte ein, „ ... freue mich, Sie auf dem Flug von ... zu dürfen.“ Ich wandte mich K. zu: „Was hat er gesagt?“ „Sei still“, antwortete K. unwirsch, „ich verstehe kein Wort!“ Ganz genau, das war ja das Problem. Der Kapitän nuschelte ungerührt weiter: „... und unsere Reiseflughöhe beträgt ...“, das Rauschen wurde wieder stärker, „... voraussichtliche Ankunftszeit bei leichtem Wind aus ... hat es derzeit angenehme 24 Gra... ich Ihnen ... dahin einen angenehmen Flug.“ K. lehnte sich in den Sitz zurück und schloss die Augen, als wäre nichts geschehen. Nach einer Weile konnte ich mich nicht mehr zurückhalten: „Sitzen wir überhaupt im richtigen Flieger? Ich glaube, ich habe Kiew gehört.“

Ich habe Kiew gehört.

Man könne heutzutage überhaupt nicht in die falsche Maschine gelangen, antwortete K., ohne die Augen zu öffnen, ich solle mich doch bitte jetzt nach Möglichkeit entspannen. Demonstra­tives Durchatmen.

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Da hatte ich der Stewardess, die sich gerade am Gang an mir vorbei schob, aber bereits auf die Schulter getippt. In ausgesuchter Höflichkeit äußerte ich meine Befürchtungen hinsichtlich Kiew und mein Befremden über die unverständliche Begrüßung des Herrn Kapitäns. „Oh, tut mir leid, dass Sie nicht alles verstanden haben. Wir werden in einer Stunde 50 Minuten zum Landeanflug ansetzen. Genießen Sie den Flug, bestes Wetter erwartet Sie.“ Damit wollte die Flugbegleiterin weitergehen, aber mein Arm auf ihrem hielt sie zurück. „Warum sagt der Pilot das nicht selbst?“, fragte ich und blickte ihr dabei tief in die Augen. „Aber das hat er ja“, antwortete sie mit Befremden und löste sich aus meiner Umklammerung. Ein von der Seite kommender Stoß in die Rippengegend ließ mich zusammenzucken.

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Nach ein paar Minuten knackte es abermals, kurze Pause, dann der Kapitän: „... und Herren, hier spricht Ihr Kapi... auf besonderen Wunsch ... befinden uns derzeit ...-höhe, bei mäßigen Wind ... Grad und weiterhin einen ...“  

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Bist du jetzt zufrieden?“, fragte K. Wie sollte ich? Beim zweiten Anlauf hatte ich noch weniger verstanden. Als die Stewardess mit dem Getränkewagen bei uns angelangt war, konnte ich nicht widerstehen, auch wenn ich dabei zwei gesunde Rippen riskierte: „Vielen Dank für Ihre Bemühungen. Aber man hat wieder kein Wort verstanden.“ Die Stewardess lächelte verlegen und arbeitete sich weiter.  

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Ich schloss die Augen, um mich ein wenig zu beruhigen. Nach ein paar Minuten zischte K. unvermittelt: „Du bist echt peinlich.“ Ich öffnete die Augen, der Pilot stand vor mir: „Sie wollten mich sprechen?“ Dann fiel ich glücklicherweise in Ohnmacht.

 

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