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DEZEMBER 2016

Essay

Auf Reisen II

Neulich in Indien.

D

ie Rikscha wackelte bedrohlich, als ich mich mit meinem Koffer auf der Rückbank niederließ. „Zum Bahnhof, bitte. Rasch!“, rief ich. Der Fahrer, der es sich mit seinem Oberkörper auf der Lenkstange in landestypischer Genügsamkeit gemütlich gemacht hatte, richtete sich langsam auf und streckte beide Arme weit von sich, als wäre er eben erst aufgestanden.

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„Ich habe es wirklich sehr eilig“, sagte ich freundlich, aber bestimmt. „Zum Bahnhof schaffe ich in unter zehn Minuten“, antwortete er. Sein rundliches Gesicht schien die Ansage nicht gerade zu unterstreichen, doch schloss an die unathletische Visage ein durchaus leistungsfähig wirkender Körper an.

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Ich sah auf die Uhr. Halbfünf – wenn nicht alle Stricke rissen, würde ich meinen Zug nach Delhi noch erreichen. Erleichtert lehnte ich mich zurück, als der Fahrer die Rikscha gekonnt wendete. Doch anstelle mit Verve in die Pedale zu treten, wie ich es mir als bestimmt nicht überanspruchsvoller Fahrgast in gewisser Zeitnot erwartet hätte, drehte er sich in aller Ruhe zu mir um und fragte: „Sie bezahlen nach …?“

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„Nach der Ankunft“, entgegnete ich, ohne den tieferen Sinn dieses Begehrens zu verstehen. „Nein, ich meine nach welchem Tarif.“ Ich sah ihn fragend an. „Würden Sie gerne nach Zeit abrechnen? Die Minute kostet sieben Rupien. Macht bis zum Bahnhof geschätzte 70 Rupien. Exklusive Trinkgeld“, rechnete mir der Chauffeur vor. Das war umgerechnet nicht einmal ein Euro. „Das klingt fair für mich“, erwiderte ich und ließ mich in der Annahme, soeben handelseins geworden zu sein, in die leidlich gepolsterte Rückenlehne fallen.

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Mein Businesspartner jedoch war zum Ergebnis gekommen, die Verhandlungen noch fortführen zu wollen. „Wenn man es genau nimmt“, sagte er, während er sich nachdenklich den spärlichen Schnurrbart zurechtstrich, „wären Sie nach gefahrenen Metern billiger dran.“ Er malte mit dem gestreckten Zeigefinger Zeichen in die Luft, was ihm offenbar die Rechenoperation erleichterte. „Wenn wir nach Metern abrechnen, kommen wir schätzungsweise auf 60 Rupien“, erklärte er strahlend, nachdem er die Kalkulation mit einem beherzten Schlussstrich abgeschlossen hatte.

„Ich bezahle auch nach Kalorienverbrauch.“

 

Exklusive Trinkgeld natürlich.“

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„Natürlich“, erwiderte ich. „Dann also nach gefahrenen Metern. Aber bitte machen Sie schnell, ich muss unbedingt meinen Zug erreichen.“ Er nickte. „Sind Sie eigentlich öfters hier? Falls ja, könnte sich nämlich ein Zeitticket auszahlen.“

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Ich schüttelte den Kopf und bedeutete ihm mit einer energischen Handbewegung, er möge das elende Gefährt nun endlich in Bewegung setzen. „Eine Stunde für 500 Rupien, bei minutengenauer Abrechnung. Das Ticket ist fünf Jahre gültig und beinhaltet den Eintritt in unser sehenswertes Cricket-Museum“, führte der Chauffeur ungerührt fort. Er fischte einen Schein aus der Brusttasche seines äußerst karierten Hemds und wedelte mir damit vor der Nase herum.

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Dankend lehnte ich ab. „Bitte hängen Sie sich einfach in die Pedale, ja?“ Apropos Pedale, entgegnete der Fahrer, ohne mit seinen Füßen nur in die Nähe der Tretkurbel zu gelangen. Dank eines eingebauten Zählers freue er sich, mir auch eine Abrechnung nach Kurbelumdrehungen anbieten zu können. „Die ersten 50 sind frei. Und vom leichten Gefälle profitieren Sie obendrein, mein Herr.“

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Ich blickte auf die Uhr. „Wissen Sie was? Ich bezahle auch nach Kalorienverbrauch, ausgefallenen Barthaaren oder Ihrem Laktatwert bei Ankunft. Aber bitte fahren Sie jetzt um Himmelswillen einfach los!“ Wenn dem so sei, führte der Rikscha-Fahrer fachmännisch aus, freue er sich, mir die monatliche Flatrate von 9.990 Rupien ans Herz zu legen. „Damit sind Sie, so oft und so lange Sie wollen, unterwegs. Und das zu einem wirklich attraktiven Preis.“

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Ich unterzeichnete eilig einen Zweijahresvertrag inklusive Einzugsermächtigung und schon nahmen wir Kurs auf den Bahnhof.

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Das Ticket ist übertragbar. Wenn Sie einmal in Indien zu tun haben, rufen Sie mich an.

 

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