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JUNI 2019

Essay

Abflugsmentalität

Und Ankunftshallenatmosphäre

M

an muss sagen: So eine Staatskrise wird ja relativ schnell zu einer ziemlich unspektakulären Angelegenheit. Du wachst morgens genauso kaputt auf und der Geschmack von totem Tier treibt dich an die Zahnbürste. Was du denkst, während deine Hochleistungsphilips dir die Knabberleiste poliert, ist: Scheiße, mein Lieblingspullover ist in der Wäsche. Was du nicht denkst, ist: Hoffentlich übersteht mein geliebtes Österreich diese Krisensituation. So du dich in einem psychischen Ausnahmezustand befindest, dann weil Montag ist, aber sicher nicht wegen einer fucking Malaise des politischen Systems.

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Als Betreiber dieses kleinen Kursalons für erheiternde Kolumnistik möchte ich deshalb zur Tagesordnung übergehen. Und diese sieht die Behandlung folgender Problematik vor:

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Es wird heutzutage ja wahnsinnig viel umarmt, wenn es ans Begrüßen oder Verabschieden geht. Gut, könnte man sagen, es wird ja auch wahnsinnig viel geflogen. Vielleicht haben die Leute halt immer einen Flug gebucht, verabschieden sich also, von bösen Vorahnungen beschlichen, einfach aus Fatalismus heraus so intensiv und begrüßen sich dann auch entsprechend emotional, wenn das Flugzeug schon wieder nicht abgestürzt ist.

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Jedenfalls: Wo man heute auch ist – es herrscht, wenn Sie mich fragen, gerne mal Abflugsmentalität und Ankunftshallenatmosphäre. Problem: Die Leute hängen ja auch ineinander und zelebrieren die ganz großen Gefühle, wenn sie bloß fünf Minuten nach Hause zu watscheln brauchen und sich am nächsten Tag nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit ohnehin wiedersehen. Da wird gedrückt und gebusselt, umharkt und umschlungen, geherzt und geknuddelt, dass man als nüchtern veranlagter Mensch an im Vergleich nachgerade stoisch zur Kenntnis genommene Momente wie Heiratsantrag, Kindsgeburt und die zufällige Begegnung mit Bruce Willis denken muss und ein arg schlechtes Gewissen bekommt. Na ja, vermutlich war es ja gar nicht Bruce Willis.

Es wird heutzutage ja wahnsinnig viel umarmt.

 

Das Umarmungsphänomen lässt sich zum Beispiel hervorragend an der Universität beobachten. Grundsätzlich möchte ich festhalten: Man lernt ja so ungeheuer viel an der Uni. Ganz besonders über das Sozialverhalten junger Erwachsener. Als mir die Umarmungshäufigkeit im zeitgenössischen studentischen Milieu erstmals aufgefallen ist, dachte ich ja noch: Da muss ein berüchtigter Professor mächtig bei der Benotung gewütet haben. Doch geht es in der Regel gar nicht um Trostspendung angesichts übler Zensuren, und auch dass einem der Pflegeleguan in den Smoothie-Mixer geraten ist, dürfte ein sehr singuläres Ereignis darstellen.

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Vielmehr ist es auch hier wieder der gewaltige Trennungsschmerz in Kombination mit reger Flugaktivität, ob dem sich die jungen Damen und Herren mit- und ineinander verharken. Oder vielleicht auch die Freude an der innigen Berührung. Hormone und so weiter.

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Es ist nämlich nicht so, dass nur Frauen die Umschlingung als angemessene Ein- oder Ausleitung eines kontemporären Aufeinandertreffens empfinden. Der junge Mann greift durchaus auch zu diesem Mittel, und zwar, wie mir scheint, sowohl mit Hintergedanken als auch ohne.

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Zugegeben: Wären zu meiner Zeit in der geisteswissenschaftlichen Schickeria nicht Strickjacken und furchtbar kratzige Pullover angesagt gewesen, hätte ich vielleicht auch jede Gelegenheit zur Umklammerung weiblicher Torsi genutzt. Heute freilich bevorzuge ich bei Sozialkontakten zwei beherzte Schwerthiebe Abstand als Ausgangsstellung. Und vertraue dann auf äußerst niedrige Handschlagsquantität.

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