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JULI 2017

Essay

Ausdauernd

Eine laue Sommernacht ist kein Marathon. Und irgendwie doch.

E

s ist ja nun einmal so, dass im Alter die Ausdauer nachlässt. Das ist Fakt, bitte. Bereits viele 50-Jährige haben Schwierigkeiten dabei, den Marathon unter drei Stunden zu laufen. Und wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Nicht wenige schaffen auch die drei Stunden dreißig nur, wenn sie sich zur Leistungssteigerung in diese knalligen Thrombosestrümpfe zwängen, die dazu angehalten sind, die für gewöhnlich schwere mitteleuropäische Wade in eine, man möchte fast sagen: massaiunterschenkelartige Form zu pressen.

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Wenn man die ganze Angelegenheit dann noch erschwert, indem man von dem Läufersenior das auswendige Aufsagen eines äußerst langatmig gestalteten Gedichts wie die „Bürgschaft“ von Fritze Schiller einfordert – freundlich macht man das natürlich, aber bestimmt und mit einem Lächeln, das signalisiert: Jetzt werden wir einmal schauen, ob du supere Sportskanone wirklich Ausdauer hast – dann bleiben für die Bewältigung dieser Herausforderung eigentlich im deutschsprachigen Raum nur mehr zwei Personen übrig: zwei Theaterintendanten, die totalen Schiller-Afficionados schon seit ever, die zudem über viel Tagesfreizeit fürs Lauftraining verfügen und entgegen der Branchengepflogenheiten nur verhalten zu Koks und Rotwein greifen. Von der diskret mitlaufenden Souffleuse rede ich da ja noch gar nicht. Beim Rest der Alterskohorte, wie wir Soziologiezenturios uns auszudrücken pflegen, sähe bzw. schaugerte es, wenn Sie verstehen, was ich meine, wirklich traurig aus. Entschuldigung, aber das ist einfach so. Da lässt praktisch eine ganze Generation brutal aus. Regt aber niemanden auf. Entsprechend gering gestaltet sich das Problembewusstsein, jetzt einmal gesellschaftlich betrachtet.

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Anders beim Thema Ausdauer in lauen Sommernächten: Hier mehren sich die kritischen Stimmen – jedenfalls in meinem Kopf. Es ist nämlich so: Mir fehlt da einfach die Ausdauer. Für alle Leser aus Wüstengebieten und Südtirol muss ich dazu Folgendes erklären:

Frauen bringen immer ein leichtes Etwas mit.

 

Da laue Sommernächte hierzulande sehr selten sind, müssen sie von der indigenen Bevölkerung wirklich radikal ausgekostet werden. Das heißt, man setzt sich mit – nach Möglichkeit – befreundeten Menschen in einen Garten oder auf eine Terrasse, greift zu Erfrischungsgetränken im entspannten Volumsprozentbereich und genießt fünf und mehr Stunden Temperatur UND Dunkelheit. Das ist ganz wichtig. Sieben Sommerspritzer alleine machen noch keine laue Sommernacht! Sieben Sommerspritzer machen bloß eine große Rechnung im Schwimmbadcafé und vielleicht betrunken.

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Es darf in der lauen Sommernacht schon gesprochen werden, aber in der Regel hat jeder zweite Satz sowieso zum Inhalt, wie „fein warm“ es doch noch sei, wobei immer jemand durchaus klimazonen- und topographiekritisch hinzufügt, ein solches Vergnügen sei einem maximal bis Anfang August vergönnt, setze doch spätestens dann das gefürchtete Herbsteln ein. Frauen bringen immer ein leichtes Etwas mit, ein Jäckchen, so nennt man diese textile Witzveranstaltung, glaube ich, und sie scheuen nicht davor zurück, sich diesen vornehmlich gestrickten Hauch von Nichts mit Verve überzuwerfen, sollte wider Erwarten die untere Grenze der Raumtemperatur erreicht werden. Die Männer machen sich dafür durchgehend in ihren Dreiviertelhosen lächerlich.

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Problem: Bis es dunkel ist, die eigentliche laue Sommernacht in ihrer ganzen Mildtätigkeit also endlich beginnen kann, habe ich schon wieder genug davon. Leibliche Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten rufen, eventuell sogar ein Buch oder eine Knast-Doku auf YouTube, ja, wahrscheinlich eher das, und überhaupt ist morgen ja auch noch ein Tag, vielleicht mit genug Scheiße für zwei.

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Was mir zu denken gibt: Viele 50-Jährige haben Probleme beim Marathon, aber laue Sommernacht können die, mein lieber Schwan. Ich werde an meiner Bestzeit arbeiten müssen. Klar über drei Stunden ist machbar. So als Fernziel.

 

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