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AUGUST 2018

Essay

True Crime

Dieser Kriminalfall basiert auf einer wahren Begebenheit.

E

s war einer jener Tage und es war eine jener Szenen, die Park nur zu gut kannte. Bald würde es hier von Bullen wimmeln. Vor seinem geistigen Auge tauchten die üblichen Verdächtigen auf: Streifenpolizisten, die Absperrbänder anbrachten und dafür sorgten, dass keine Pressefritzen oder sonstige Schaulustige dem Tatort zu nahe kamen; die Jungs von der Spurensicherung, immer den neuesten hirnverbrannten Spruch auf den Lippen, so lauwarm wie der Kaffee, den sie nach getaner Arbeit aus Pappbechern schlürften, und schließlich die ermittelnden Beamten in ihren schlecht sitzenden Anzügen, mies gelaunt wie die Rausschmeißer des Vergnügungsviertels fünf Minuten nach der Sperrstunde.  

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Parks Magen meldete sich mit einem klammen Gefühl zu Wort – wie immer, wenn ihm all die Verbrechen in den Sinn kamen, die er schon gesehen hatte. Erpressung, Entführung, Mord, Totschlag – das komplette Programm menschlicher Bösartigkeit. Scheiße für drei Menschenleben. Park hatte von Natur aus Nerven wie Drahtseile, aber von seinen Eingeweiden konnte man das nicht behaupten. Irgendetwas in seinem Bauch zog sich zusammen und verhärtete sich zu einer bleiernen Kugel, die in seinem Inneren für mächtig Unruhe sorgte. Er dachte an die Flasche Scotch vom Vorabend, unterdrückte aber den Impuls, den kleinen Bruder des Seelentrösters aus der Brusttasche seines Sakkos hervorzuholen.  

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Als er sich im Halbdunkel der Garage dem schwarzen Mercedes mit dem offenen Kofferraum näherte, verlangsamte Park seine Schritte. Vom Fahrer des edlen Schlittens war nichts zu sehen. Auch sonst hatte sich niemand in die abgelegene Ecke des Parkhauses verlaufen. Stille. Nur ein Lüftungsgebläse verrichtete ächzend seinen Dienst. 

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Hier stimmte etwas nicht, das war klar. Niemand parkte seine Nobelkarre einfach so in einer runtergekommenen Garage in einer noch beschisseneren Gegend und ließ einfach den Kofferraum-deckel offen. Es gab dämliche Leute, aber das war so verrückt wie zwei Walzer tanzende Kanalratten.

Er dachte an die Flasche Scotch vom Vorabend.

 

Park trat vorsichtig an den offenen Schlund des Mercedes heran und vermisste dabei ein Schießeisen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war eine mit Klebeband auf Kofferraum-maße zusammengeschnürte Leiche. Hatte der Täter plötzlich die Nerven weggeschmissen, als der ungebetene Gast in der Garage aufgetaucht war, und war getürmt? Oder lebte das Opfer noch, entführt von einem kranken Einzelgänger, der sich als Ausgleich zu seinem Buchhalterjob junge Frauen auf der Straße griff, um sie zu schicken Lampenschirmen zu verarbeiten – und hatte es vielleicht mit letzter Kraft zuwege gebracht, den Deckel aufzustoßen?  

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Park hielt die Luft an, als er einen Blick in den Kofferraum warf. Doch der war leer. Kein Gepäck, kein Werkzeug, keine Decken oder sonstige Utensilien, die man für gewöhnlich dort bunkerte. Ja, nicht ein Fitzelchen Papier, nicht eine Faser waren zu sehen. Profis, dachte Park, schon das Bild der verzweifelten Angehörigen vor sich, die vor versammelter Presse unter Tränen den oder die Entführer anflehen würden, das Opfer freizulassen. 

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„Also, das ist mir auch noch nie passiert.“ Eine Frauenstimme riss Park aus seinen düsteren Gedanken. Ihre Besitzerin, eine Mitfünfzigerin im schwarzen Hosenanzug, die so wirkte, als wüsste sie, wie man in einer Viertelstunde sechs Riesen für Klamotten ausgab, stöckelte zielstrebig auf den Benz zu. Kopfschüttelnd betätigte sie einen Knopf auf der Innenseite der Kofferraumtür, worauf sich diese schloss. Nachdem sie Park mit dem Anflug eines Lächelns bedacht hatte, bestieg die Lady den Wagen. 

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Park rieb sich die Stirn, dann hastete er zum Ausgang. Er musste noch Milch kaufen. Andernfalls würde es zu Hause mächtig Ärger geben.

 

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