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MAI 2020

Essay

Kaltes Bier

in der Tiefe des Raumes

E

s ist jetzt nicht so, dass du als Kolumnist aufwachst und dir nichts Besseres einfällt als Corona, Corona, Corona. Aber fast. Du erlebst ja schon in normalen Zeiten praktisch nichts. Und jetzt passiert noch weniger. Neulich ist dir vor dem Milchregal immerhin die Gesichtsmaske verrutscht. Das ist zwar eine schwere Straftat, aber noch keine gute Geschichte.

 

Außerdem redet ja ohnehin niemand von was anderem als Corona. Es ist nämlich so: Wenn du dich zurzeit mit wem unterhältst, musst du dich erst einmal an den aktuellen Infektionszahlen abarbeiten und die neuesten Maßnahmen und deren präsumtive Undurchführbarkeit erörtern.

 

Dann kommt Wirtschaftskrise mit ein paar vulgär-ökonomischen Stehsätzen und explizitem Rezessionsfuror. Inklusive betriebswirtschaftlicher Todessehnsucht. Es folgt die obligatorische Schweigeminute für Tourismusbrantsche, Konjunkturmotor und Opposition. Zu guter Letzt ein kleiner Ausblick auf das Vorliegen eines wirksamen Impfstoffs unter Berücksichtigung der Bereitschaft, sich das Zeug irgendwo reinspritzen zu lassen. Oder eben nicht.

 

In den verbleibenden fünf Minuten kannst du dich dann mit deinem Gesprächspartner endlich zum Schuldbegriff bei Dostojewski austauschen oder dem neuesten Musikvideo von Billie Eilish. Das ist natürlich arg wenig Zeit für so was. Nein, dann doch lieber kritisch das Lebenswerk von Oliver Pocher würdigen. Oder Armin Wolf seinen Bart die Optik. Weil das geht sich sogar in drei Sekunden aus.

ich trinke nichts unter dem Zucker­gehalt von Bananenmilch.

Hier in diesem weitläufigen Freigelände von einer Frühsommerkolumne – Sie können den Mundnasen­schutz übrigens ruhig ablegen – möchte ich ja eigentlich auf etwas ganz anderes zu sprechen kommen. Und zwar: mein Verlangen nach einem sehr kalten Bier auf einem sehr großen Platz. Ich habe gerade so was von Lust, mich mit einer in die Nähe des Gefrierpunkts gekühlten Hopfenkreation auf Stufen hinzuflacken, die irgendwo in beherzter Breite nach oben führen, dass ich mich nur wundern kann.

 

Weil Verlangen nach Alkohol – das klingt jetzt sehr nach: Gestern gab’s die Lohntüte und Onkel Herbert musste Vati mal wieder vom WC-Boden einer Innenstadtkneipe kratzen. Außerdem trinke ich eigentlich nichts mehr unter dem Zuckergehalt von Bananenmilch. Aber dieses kalte Bier in der Tiefe des Raumes stelle ich mir einfach wahnsinnig beglückend vor.

 

Weil wir gerade bei Bedürfnissen sind: Ein Wunsch schleimt sich bei mir mittlerweile auch ganz schön rein. Ich möchte gerne Bilanz über Corona ziehen. Problem: Ein Resümee dieser ganzen Gagge kommt gelinde gesagt leicht verfrüht. Wer weiß schon, was da noch ansteht. Es wäre ein bisschen wie einst in der Schule, wenn man von einer Hardcorelehrerin genötigt wurde, irgendeine öde Story nachzuerzählen, obwohl man schon auf Seite 7 eingeschlafen war. Das ging selten gut aus.

 

So. Bevor ich Sie in die nächste Fußgängerstraße gemäß StVO in frisch novellierter Fassung entlasse, möchte ich Ihnen noch meinen kostenlosen Newsletter andienen. Jeden Freitag rotze ich Ihnen was hin und Sie bekommen das Ganze trotzdem ohne jede Infek­tionsgefahr frei Haus geliefert. Babyleichte Anmeldung – auch für Risikopatienten – auf jf-park.com.


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