Wir empfehlen
MÄRZ 2016

Essay

Schild und Sühne

Mir tut es überhaupt nicht leid, dass ich derzeit für Sie nicht
da sein kann. Anderen aber schon.

D

iesen Text rotze ich Ihnen aus gegebenem Anlass hin, verehrte Damen und Herren leserseitig. Man schreibt ja immer aus irgendwelchen Gründen. Sehr fragwürdig sind diese Motive meistens, davon können Sie einmal ausgehen.

// 

Bei mir zum Beispiel handelt es sich um eine bizarre, laut Krankenkasse austherapierte Mischung aus Logorrhö und Zwangsstörung. Aber manchmal, in wirklich ganz seltenen Fällen, gibt es einen Auslöser, eine Art Erweckungserlebnis, das einen förmlich dazu nötigt, da mal was drüber zu machen, wie wir heruntergewirtschafteten Ex-Talente in unsere 1-plus-1-gratis-Weingläser vom Supermarkt zu murmeln pflegen. Bevor wir uns 1-plus-1-gratis-Wein vom Supermarkt hinter die Binde kippen, während  auf FS2 die Wiederholung vom „Bürgeranwalt“ läuft. Jede Menge Ex-Talente auch dort übrigens. Stichwort: Volksanwälte.

// 

Es trug sich also Folgendes zu: Ich in der Schlange am Postschalter, viertel nach fünf. Ich so: Ei, was wohl in dem Paket ist? Vielleicht der kleine Versuchsreaktor, den ich vor vier Monaten gecrowdfundet habe oder crowdgefundet oder wie auch immer das jetzt schon wieder heißt. Das wäre ja prima, leck mich am Arsch. Handyaufladen in 1,2 Sekunden und das erhabene Gefühl der Energieautarkie.

Weil Google hat ja immer offen und so weiter.

 

Dann ist da aber ein Schild. Dazu muss man wissen: Ein amerikanischer Hedgefund betreibt in ausgewählten Postfilialen so eine Bank. Die haben da also Büros drin, und genau auf der Tür eines solchen Büros, ein gerade unbesetzter Glaskobel ist das ja in Wahrheit, aber Kobel sagt man ja nicht, weil dann wieder die Innenarchitektin beleidigt ist, und die hatte eine schwere Kindheit und gerade neulich Burn-out, und unbesetzt klingt ja jetzt auch mehr nach Toilette und nicht nach Mitarbeiterentfaltungsraum oder Mitarbeiter-Kunden-Begegnungszone oder Freundschaftsentstehungsbereich und solchen Dingen, unbesetzt sagt man also auch nicht, aber jedenfalls: Es hängt da ein Schild. Und zwar mit folgender Aufschrift: „Es tut mir leid, dass ich derzeit für Sie nicht da sein kann.“

// 

Ich so: Handyaufladen in 1,2 Sekunden, geilo! Dann aber: Hä, geht’s noch? Wieso bitte entschuldigen sich Bankmitarbeiter mittels vorgefertigtem Abwesenheitsschild dafür, dass sie gerade nicht arbeiten? Und ist das jetzt schon schlimm, dass es so etwas wie Öffnungszeiten gibt? Weil Google hat ja immer offen und so weiter.

// 

Als engagierter Kolumnist, der zu besonderen Anlässen schon mal in einen Jean-Paul-Sartre-Gedächtnis-Rollkragenpulli schlüpft, entwickelte ich spontan folgendes sich an einem Küchentisch zutragende Dramolett in der Tradition Dario Fos:
Dem Bankmitarbeiter seine Frau: Schmeckt dir das Essen nicht, Herbert?
Bankmitarbeiter: (den Tränen nahe) Es tut mir einfach so leid, dass ich derzeit nicht für meine Kunden da sein kann.
Dem Bankmitarbeiter seine Frau:  Aber es ist doch viertel nach sechs, Herbert.
Bankmitarbeiter: Ja, aber wenn einer eine wichtige Überweisung hat.

// 

Kurz überlegte ich zudem, vom Fleck weg eine Karriere als Gewerkschaftsführer zu beginnen. So auf Lech Walesa, nur weniger katholisch. Und weniger Schnauzbart. Das vor allem. Aber dann fiel mir der gelbe Abhol-Zettel auf den Boden und die Idee hatte sich irgendwie erledigt.

// 

Im Paket fand ich dann ordinäre Staubsaugerbeutel vor. Für so etwas entschuldigt sich aber genau niemand.

 

[email protected]