Wir empfehlen
FEBER 2015

Essay

Wer Charlie ist, muss auch B sagen!

Dass sich auch die halbe Tiroler Regierung fotogen zum Charlie macht, basiert entweder auf Unwissen oder auf Unverständnis – aber wahrscheinlich sogar auf beidem. Denn das um vier weitere schwarze Parteigranden angereicherte Oktett entbehrt nicht nur der Glaubwürdigkeit in Fragen zur Toleranz, es ignoriert damit auch die Präambel zur Landesverfassung. In ihr ist die Intoleranz so festgeschrieben wie jenes Familienbild, an deren Auflösung die Bundes-ÖVP gerade arbeitet.

J

e suis Charlie“ steht weiß auf schwarz auf den Taferln, die acht sehr ernsthaft dreinschauende Spitzen der Tiroler Volkspartei fürs  Objektiv der Nachrichtenverbreiter präsentieren. Ein Gruppenbild mit Damen voll im globalen Trend: Von Günther Platter über Patrizia Zoller-Frischauf und Beate Palfrader bis zu Franz Fischler sind sie am 10. Jänner angetreten, um der Welt ihre Solidarität mit den Opfern des Massakers beim Satiremagazin „Charlie Hebdo“ zu demonstrieren. Wenn schon keine Bewegung, dann wenigstens eine Mitmach-Partei: Im ersten Winter nach dem Sommer der Eiskübel-Herausforderung zeigt sich die Tiroler VP medial total sozial – so wie es sich in der Ära von Social Media gehört. Die Kurzlebigkeit der Tweets und Postings, von Challenge und Shitstorm zwingt zu Schnellentschlossenheit.

 

// 

Längst gilt nicht mehr, was Johann Wolfgang von Goethe und Mark Twain gleichermaßen als Weisheit über die Qual des Schreibers zugeordnet wird: „Verzeih, dass ich so lang geworden bin. Ich hatte nicht genügend Zeit, um kurz zu werden.“ Gestern noch wusste die absolute Mehrheit der Tiroler nicht, was „Je suis“ heißt, heute sind sie schon massenhaft der „Karli“ – allen voran die schwarze Regierungs- und Parteispitze. K.I.S.S. – keep ist short and stupid! Das lässt einerseits viel Platz für Realsatire: von Helmut Qualtingers „Der Herr Karl“ (1961), dem Urtyp des gefährlich situationselastischen österreichischen Kleinbürgers, bis zu „Go Karli Go“ (1984), einem Ulk auch über mediale Selbstverbreitung jener Ersten Allgemeinen Verunsicherung, deren Gruppenname perfekt den topaktuellen Zeitgeist und Aktionismus beschreibt. Was Karli nicht lernt, lernt Karl nimmermehr? Einen Karl wollen sie sich machen?

Kultur in Tirol definierte sich grossteils über und gegen den Katholizismus – oder was sich so dafür hielt.

Vom Gespenst zum Liebeskonzil.

Das erinnert andererseits an unselige Diskussionen im Tirolerland: vom Aufführungsverbot des Aufklärungsstückes „Was heißt hier Liebe?“ (Theater Rote Grütze) 1981 in Lienz bis zur Trotzdem-Präsentation des bis heute mit einem Vorführungsbann belegten Films „Das Gespenst“ (Herbert Achternbusch) 1982 in Innsbruck; von der Vertreibung der Volksschauspiele aus Hall nach Telfs wegen „Stigma“ (Felix Mitterer) bis zu den Strafanzeigen gegen die Aufführung von „Das Liebeskonzil“ (Oskar Panizza) 1992 in  Innsbruck. Die Ausstrahlung von Werner Schroeters darauf basierendem Film war schon 1985 von der Tiroler Landesregierung verboten und beschlagnahmt worden, weil er angeblich die christliche  Religion beleidigte. 1994, knapp vor Österreichs EU-Beitritt, erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dies verstoße nicht gegen die Freiheit der Meinungsäußerung. 

// 

Ist es pure Sentimentalität, sich solche Konflikte zurückzuwünschen? Nun, der Streit sorgte wenigstens für flächendeckende Information. Ein tagesopportunistisches „Je suis Charlie“ von einer Regierungsspitze, die weder die Präambel zur Landesverfassung repariert, noch sich von der eigenen historischen Intoleranz distanziert, wäre damals nicht ohne massenhaften und -medialen Aufschrei der (Sub-)Kulturschaffenden und Provinzintellektuellen möglich gewesen. Also ist es nicht bloß satte Dekadenz, das noch Erhoffte dem schon Erreichten vorzuziehen, lieber den Kampf zu führen als den Sieg zu genießen, dem Damals zu frönen, als „Stigma“ sich zum größten Kulturskandal in Tirol nach dem Kriege auswuchs. In Telfs, wohin die Volksschauspiele emigrieren mussten, weil sie in Hall schon nach Franz Kranewitters „Sieben Todsünden“ nicht mehr gewollt wurden. Damals, als in Pradl das Treibhaus entstand, schon infolge seines Leiters Norbert Pleifer der legitime Nachfolger des Komm,

Seine Strafanzeige richtete sich sogar gegen Landeshauptmann Eduard Wallnöfer – wegen „Beihilfe zur sittlichen Gefährdung Unmündiger und Jugendlicher“. Anton Zelger, der Südtiroler Landesrat für Kultur, zeigte dagegen lieber gleich das Theater unter seinem Leiter Ernst Paar an. 

// 

Den Umbruch in Tirols und Innsbrucks Kulturleben markierten vor allem die 1980er-Jahre. Nachzuvollziehen auch an den wichtigsten Medien des Landes. Die Tiroler Tageszeitung, gegen die am Anfang der Dekade noch auf der Straße protestiert wurde, wandelte sich damals rasant zu einem Blatt, das auch die Alternativ- und Subkultur förderte. Treibhaus und Utopia fanden hier eine publizistische Plattform. Im ORF-Landesstudio werkte unterdessen jener Joschi Kuderna als Macher von „Tirol heute“, der sich andererseits im Kellertheater engagierte. Als Dominique Mentha 1992 als Intendant des Landestheaters antrat, wusste er also schon, welche Art Einstand in Tirol Aufmerksamkeit erregt. Er setzte „Das Liebeskonzil“ auf den Spielpan. Die Strafanzeigen folgten auch prompt. 

Gottestreue und Familienordnung.

Geändert hat sich seitdem zumindest auf dem Papier nichts. Wenn Platter, Palfrader und sogar der angeblich große Europäer Fischler „Je suis Charlie“ beteuern, dann unterstützen sie auch die blasphemischen Rundumschläge durch die Karikaturen des Pariser Satireblatts. Gut so.