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OKTOBER 2014

Essay

Im Westen was Neues

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Aber nach der Wahl gilt oft nicht mehr, was vor der Wahl gegolten hat. Vom schwarzen „Vor allem. Vorarlberg“ über das blaue „Vorarlberg zuerst“, das grüne „Dein Vorarlberg kann mehr“ und das rote „Oho Vorarlberg“ bis zum pinken „Vorarlberg gehört uns allen“ herrschte plakative alemannische Fünfeinigkeit, dass Bundespolitik hier niemanden bekümmern soll. Doch dann diskutieren sie von Wien bis Innsbruck das Ländle-Signal. Es wirkt „vor allem“ föderal.

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ie vermutete Richtungsweisung ist kein Ergebnis der Dimension: Die Volkspartei hat 2013 bei der Landtagswahl in ihrer nun letzten absoluten Hochburg Niederösterreich siebenmal so viele Stimmen bekommen wie jene 70.000 am 21. September 2014 in Vorarlberg. Die Sozialdemokraten sind bei der Wiener Gemeinderatswahl 2010 allein im Bezirk Favoriten doppelt so oft gewählt worden wie von den 15.000 Alemannen am letzten Sommersonntag dieses Jahres. Die Zuschreibung, ausgerechnet der kompakte äußerste Westen gebe nun ein Signal an Metropole und Nation, entspringt der terminlichen Situation. Engster Nachbar inklusive, obwohl die nächste Wahl in Tirol noch weit ist. Doch die Schienenleger dorthin sind – die einen recht, die anderen schlecht – längst unterwegs.

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Mehr noch als die Europa-Wahl vom Mai wirkt die heimatbezogene Entscheidung der Vorarlberger als bundesweit symbolträchtiger Zwischengalopp im Spannungsfeld der regionalen Superwahljahre 2013 und 2015 mit jeweils vier neu zu bestimmenden Landtagen. 

 

Dass die SPÖ erstmals in einem Bundesland in den einstelligen Bereich absackt, erschüttert einerseits ihren staatstragenden Anspruch und andererseits die Position des ohnehin angeschlagenen Obmanns Werner Faymann, der sich vor dem Advent einem Bundesparteitag stellen muss. Wenn die ÖVP neun Prozentpunkte (bzw. 18 Prozent ihrer Stimmen von 2009) verliert, obwohl sie soeben mit ihrem neuen Chef Reinhold Mitterlehner und dem Vorarlberger Finanzminister Hans Jörg Schelling die Talsohle verlässt, zeigt dies grundsätzlich größeren Handlungsbedarf als nur einen Personalwechsel in der Hauptstadt. 

SCHWARZ-GRÜNE WESTACHSE.

Wie die FPÖ leicht verliert, ist ein Hinweis darauf, dass ihr im Ländle geübter konstruktiverer Ansatz  nicht so mehrheitsfähig ist, wie es auch Heinz-Christian Strache als Möchte-Gern-Kanzler benötigt. Das Zutrauen in eine grüne Regierungsfähigkeit unter Eva Glawischnig hingegen nimmt offenbar auch in positiverer Bewerbung zusehends bundespolitische Formen an, als es durch das Negative Campaigning bei Nationalrats- und EU-Wahl erreicht wurde. Schließlich erhalten die Neos nach ihrer Europa-Enttäuschung nun schon die zweite Lektion,

Wenn die Sozialdemokratie nicht zur südostösterreichischen Regionalpartei verkommen will, hat sie dringenden Handlungsbedarf.

REGIONALE ZENTRIFUGALKRÄFTE.

Die in Wien vermutete Ost-Stoßrichtung zeichnet jedoch ein unvollständiges Bild der Optionen dieses Modells durchaus auch für die Bundesebene. Das wird sich zwar zweifarbig kaum ausgehen, ergäbe aber mit pinker Punktierung eine auch ideologisch durchaus homogene Dreierkoalition. Denn abgesehen von einigen Realitätsverweigerern in der Donaumetropole entpuppen sich die Grünen immer deutlicher als bürgerliche Partei. Neben dieser Österreich-Karte haben aber die vier Westachsler interregionale Trümpfe im Blatt, die in den europäischen Nachwehen des Schottland-Referendums deutlich ihren Hirngespinst-Status verlieren. Das gilt für Vorarlberg, diesen einstigen Kanton Übrig, seit jeher durch seine Nähe zur Schweiz und den internationalisierten Bodenseeraum. 

 

Das spielt Salzburg mehr denn je in seiner Pingpong-Orientierung zwischen Wien und München, den Servus-Raum, wie es der in der Mozartstadt residierende Privatsender nennt. Das nutzt zusehends Oberösterreich als Wirtschaftsland Nr. 1 auf Basis der ökonomisch ständig dichteren Verflechtungen mit Bayern. Damit spekuliert doppelgleisig und am offensivsten Tirol, das einerseits die Westachse forciert und sich andererseits als Zentrum der europäischen Alpenstrategie positioniert. Diese überschneidet sich zwar mit einer von der Union schon länger geförderten makroregionalen Donaustrategie, doch steht auch in klarem Standortwettbewerb zu ihr. Die Europaregion gemeinsam mit den italienisch(staatlich)en Partnern Südtirol und Trentino ist nur ein Kern dieser Langzeitperspektive. Doch schon die Nord-Süd-Achse dieser Euregio gibt ein Zeichen zur Entnationalisierung. Unterdessen pflegen auch Kärnten und die Steiermark ungeachtet aller Banken-Desaster auf dem Balkan immer mehr ihre eigenen Tore zum slawischen Raum. Schmeck’s Wien!?

Diese Zentrifugalkräfte der Bundesländer, insbesondere von Tirol und Vorarlberg, werden zunehmen, je mehr der Bund seine Hausaufgaben vernachlässigt.