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APRIL 2016

Greisverkehr mit Jungbrunnen

Wir werden immer älter, doch gebärden uns ständig jünger. Der Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft liefert auch ein verdichtetes Abbild unserer seltsam paradoxen Gesellschaft: Generation Greis im Jugendwahn. Die betagten Kandidaten bedienen sich der neuen Medien. Das Buhlen um Fans auf Facebook übertrifft den Wettbewerb um Unterstützungserklärungen auf Papier.

A

usgerechnet der bei weitem jüngste Hofburg-Anwärter verzichtet als Einziger auf ein deklariertes Bewerbungsvideo via YouTube, den angeblichen Must-have-Kanal zur Stimmengenerierung für die Präsidentschaftswahl. Norbert Hofer (45) braucht das nicht, weil seine Freiheitlichen ohnehin Österreichs stärkste Partei auf den Social-Media-Plattformen sind – ausgenommen Twitter, dem wichtigsten Tool für jene, die etwas zu sagen haben. Seine fünf Konkurrenten mit dem Durchschnittsalter 73 setzen dagegen geschlossen auf den vermeintlichen Digital-Nachfahren des Rattenfängers von Hameln, auf dass er ihnen auch jene Wähler zutreibe, die sie per „Zeit im Bild“ nicht erreichen können. Deren Publikum hat nämlich auch schon einen Altersschnitt von 60 plus.

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Der Älteste und Skurrilste ist der Erfolgreichste: Das gilt für Donald Trump (69), den hohen Favoriten auf die US-Präsidentschaftskandidatur der Republikaner nicht nur beim Social-Media-Auftritt.

Der wahrscheinliche Gegner von Hillary Clinton (68) übertrifft sogar die als Außenministerin bewährte Demokratin auf Facebook, Twitter und Instagram. Vorerst aber wichtiger für ihn: Er vermag diese Beliebtheit in Stimmen für die Vorwahlen umzumünzen. Ähnliches fällt dem Senior der Austro-Kandidaten schwerer: Richard Lugner (83) hat nur knapp die notwendigen 6.000 Unterstützungserklärungen für sein Antreten zusammengebracht, obwohl sein YouTube-Video „Lugner for President“ zu Ostern bereits 666.000 Aufrufe verzeichnete. Damit liegt er weit vor den Filmchen von Irmgard Griss (69), Alexander Van der Bellen (72), Andreas Khol (74) sowie Rudolf Hundstorfer (64) und ist vergleichsweise auch erfolgreicher als Trump: Dessen Antrittsrede wurde zwei Millionen Mal angeklickt. Also nur dreimal so oft in einem Staat mit 40-facher Bevölkerungszahl.

Seniorensturm aufs digitale Jugendzentrum.

Doch nicht erst seit den Präsidentschaftswahlkämpfen in den USA und Österreich verfällt die Generation Greis zusehends dem Jugendwahn.

Ich filme, also bin ich.

 

Wenn die Älteren den einstigen Tummelpatz der Jungen erobern, schlägt das Imperium derart zurück, dass dieses digitale Jugendzentrum rasant altert. Facebook wird erwachsen.

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In den USA entwickelt sich der virtuelle Krake zusehends zum Informationsverteiler. 62 Prozent seiner User nutzen ihn dort schon für den Nachrichtenbezug – ein Drittel mehr als 2013. Eine ähnliche Entwicklung ist auch für Österreich zumindest in Ansätzen erkennbar. Während sich 2014 noch jedermann (und weniger -frau!) für eine vermeintlich karitative, aber vor allem fragwürdige Ice Bucket Challenge Eiswasser über den Kopf geleert und einen Film darüber ins Netz gestellt hat, mobilisierten hier im Herbst 2015 Hinz und Kunz pro und kontra Flüchtlingsfrage. Und bereits 530.000 der hierzulande verorteten Facebook-Accounts gehören zur Generation 50plus. Die Uhus, die unter Hundertjährigen formieren sich zur digitalen Macht, die allein aufgrund ihrer Masse führend werden kann.

Rund ein Viertel der Bevölkerung und fast ein Drittel der Wählerschaft sind älter als 60.

Technische Entwicklung als inhaltlicher Taktgeber.

Damit vollzieht sich endlich auch via Massenkommunikation, was die lange Zeit seltsam verzerrten medialen Darstellungen von Senioren weitgehend ignoriert haben: So lange Oma und Opa geistig und körperlich dazu in der Lage sind, machen sie jede technische Errungenschaft wie modische Torheit der Nachkommen mit. Das gilt für Modebewusstsein und Sportausübung, Mediennutzungsverhalten und Ernährungstrends – sowie folgerichtig auch die politische Ansprache. Mit sozialen Netzwerken verfügen die rüstigen Senioren endlich über einen Jungbrunnen, um den herum sie nun ihren Greisverkehr errichten. Die gefühlt ewig gepflegte angeblich werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen hat deswegen nicht ausgedient, doch insbesondere die Teenager fungieren mehr denn je als Impulsgeber für alle Älteren.

In den USA ent­wickelt sich der virtuelle Krake zusehends zum Informations­verteiler.