usgerechnet der bei weitem jüngste Hofburg-Anwärter verzichtet als Einziger auf ein deklariertes Bewerbungsvideo via YouTube, den angeblichen Must-have-Kanal zur Stimmengenerierung für die Präsidentschaftswahl. Norbert Hofer (45) braucht das nicht, weil seine Freiheitlichen ohnehin Österreichs stärkste Partei auf den Social-Media-Plattformen sind – ausgenommen Twitter, dem wichtigsten Tool für jene, die etwas zu sagen haben. Seine fünf Konkurrenten mit dem Durchschnittsalter 73 setzen dagegen geschlossen auf den vermeintlichen Digital-Nachfahren des Rattenfängers von Hameln, auf dass er ihnen auch jene Wähler zutreibe, die sie per „Zeit im Bild“ nicht erreichen können. Deren Publikum hat nämlich auch schon einen Altersschnitt von 60 plus.
//Der Älteste und Skurrilste ist der Erfolgreichste: Das gilt für Donald Trump (69), den hohen Favoriten auf die US-Präsidentschaftskandidatur der Republikaner nicht nur beim Social-Media-Auftritt.
Der wahrscheinliche Gegner von Hillary Clinton (68) übertrifft sogar die als Außenministerin bewährte Demokratin auf Facebook, Twitter und Instagram. Vorerst aber wichtiger für ihn: Er vermag diese Beliebtheit in Stimmen für die Vorwahlen umzumünzen. Ähnliches fällt dem Senior der Austro-Kandidaten schwerer: Richard Lugner (83) hat nur knapp die notwendigen 6.000 Unterstützungserklärungen für sein Antreten zusammengebracht, obwohl sein YouTube-Video „Lugner for President“ zu Ostern bereits 666.000 Aufrufe verzeichnete. Damit liegt er weit vor den Filmchen von Irmgard Griss (69), Alexander Van der Bellen (72), Andreas Khol (74) sowie Rudolf Hundstorfer (64) und ist vergleichsweise auch erfolgreicher als Trump: Dessen Antrittsrede wurde zwei Millionen Mal angeklickt. Also nur dreimal so oft in einem Staat mit 40-facher Bevölkerungszahl.
Seniorensturm aufs digitale Jugendzentrum.
Doch nicht erst seit den Präsidentschaftswahlkämpfen in den USA und Österreich verfällt die Generation Greis zusehends dem Jugendwahn.
Das beginnt mit dem Smartphone und hört nicht mit dem Tablet auf, dessen Beliebtheit bei den Senioren sogar die Hersteller überrascht. Als Ersatz für die Gleitsichtbrille hatten sie es kaum erdacht. Die Verständigung per SMS gerät auch bei der Altersgruppe 60plus zum Kommunikationsstandard. Die WhatsApp-Quote in dieser Kohorte steigt rasant. Internet hat auch bei ihnen bereits eine Tagesreichweite von 41,3 Prozent.
//Sechs von zehn 60- bis 69-Jährigen gehören schon zu den Silver Surfern. 190.000 der insgesamt 3,5 Millionen Facebook-Accounts aus Österreich stammen von Menschen über 60. Während die Enkel vor den Freundschaftsanbiederungen ihrer Eltern auf andere Plattformen wie Instagram und Snapchat flüchten, migrieren Oma und Opa mit Macht in das global sicher größte und angeblich auch soziale Netzwerk mit seinen weltweit 1,6 Milliarden Nutzern. Hierzulande sind seit 2014 mehr über als unter 30-Jährige auf Facebook. Das wird auch den Charakter dieser digitalen Spielwiese zusehends verändern.
Ich filme, also bin ich.
Wenn die Älteren den einstigen Tummelpatz der Jungen erobern, schlägt das Imperium derart zurück, dass dieses digitale Jugendzentrum rasant altert. Facebook wird erwachsen.
//In den USA entwickelt sich der virtuelle Krake zusehends zum Informationsverteiler. 62 Prozent seiner User nutzen ihn dort schon für den Nachrichtenbezug – ein Drittel mehr als 2013. Eine ähnliche Entwicklung ist auch für Österreich zumindest in Ansätzen erkennbar. Während sich 2014 noch jedermann (und weniger -frau!) für eine vermeintlich karitative, aber vor allem fragwürdige Ice Bucket Challenge Eiswasser über den Kopf geleert und einen Film darüber ins Netz gestellt hat, mobilisierten hier im Herbst 2015 Hinz und Kunz pro und kontra Flüchtlingsfrage. Und bereits 530.000 der hierzulande verorteten Facebook-Accounts gehören zur Generation 50plus. Die Uhus, die unter Hundertjährigen formieren sich zur digitalen Macht, die allein aufgrund ihrer Masse führend werden kann.
Rund ein Viertel der Bevölkerung und fast ein Drittel der Wählerschaft sind älter als 60.
Technische Entwicklung als inhaltlicher Taktgeber.
Damit vollzieht sich endlich auch via Massenkommunikation, was die lange Zeit seltsam verzerrten medialen Darstellungen von Senioren weitgehend ignoriert haben: So lange Oma und Opa geistig und körperlich dazu in der Lage sind, machen sie jede technische Errungenschaft wie modische Torheit der Nachkommen mit. Das gilt für Modebewusstsein und Sportausübung, Mediennutzungsverhalten und Ernährungstrends – sowie folgerichtig auch die politische Ansprache. Mit sozialen Netzwerken verfügen die rüstigen Senioren endlich über einen Jungbrunnen, um den herum sie nun ihren Greisverkehr errichten. Die gefühlt ewig gepflegte angeblich werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen hat deswegen nicht ausgedient, doch insbesondere die Teenager fungieren mehr denn je als Impulsgeber für alle Älteren.
Der inhaltliche Taktgeber ist dabei die technische Entwicklung: Was von Handy bis Smartphone und SMS bis Twitter funktioniert hat, bricht sich nun durch optimierte Kamerafunktionen und erschwingliche Upload-Bandbreiten massenhaft in Bewegtbildern Bahn.
//Die Fähigkeit der Kids, professionell wirkende Kurzvideos zu produzieren, wird so rasant wachsen wie die Foto-Kompetenz von Jugendlichen durch die zu Alleskönnern gereiften Mobiltelefone gestiegen ist. Und die YouTube-Wahlwerbung der Präsidentschaftskandidaten 2016 wird historisch nicht nur als Wendepunkt der politischen Kommunikation in Österreich betrachtet werden. So wie die Jungen die neuen ästhetischen Standards für Bilder ständig neu definieren, wird dies auch mit den Maßstäben für gute Kurzfilme geschehen. Unabhängig von der Konkurrenzfähigkeit seiner jeweiligen Machart und abgesehen vom Unterschied zwischen Produzenten und Darstellern markiert der Video-Kampagne-Auftakt von Irmgard Griss, Alexander Van der Bellen, Andreas Khol, Rudolf Hundstorfer und Richard Lugner den Generationen-Durchbruch einer Kulturtechnik: Ich filme, also bin ich.
In den USA entwickelt sich der virtuelle Krake zusehends zum Informationsverteiler.