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APRIL 2016

Flüchtlings-WG

WG sucht Mitbewohner

Damit Integration vor allem im Alltag gelingen kann, fokussiert sich die Organisation „Flüchtlinge Willkommen“ auf die Vermittlung von privaten Unterkünften an Menschen mit Asylhintergrund. Zu Besuch in zwei Innsbrucker WGs.

Fotos: Franz Oss
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ie Idee der Vermittlungsplattform stammt aus Deutschland, seit Anfang 2015 hat sie einen Ableger in Wien. Auf der Webseite www.fluechtlinge-willkommen.at werden private Wohnungsangebote gesammelt, österreichweit können sich interessierte Flüchtlinge mit positivem Asylbescheid sowie Asylwerber melden. Franziska Sprenger wünschte sich vor knapp einem Jahr auch einen Tiroler Ableger der Organisation, den sie mitinitiierte.

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„Zunächst wollen wir wissen, welche Art der Unterkunft angeboten wird – Lage, Höhe der Miete, Alter der Bewohner sowie spezielle Infos über Haustiere und andere Details“, beschreibt die 22-Jährige den Ablauf der Vermittlungen. Parallel dazu werden ähnliche Infos über die Interessenten eruiert: Alter, Familiensituation, Status des Asylverfahrens, und welche Art der Unterkunft gesucht wird. „Wir achten darauf, dass Interessenten wissen, worauf sie sich einlassen: Sie sind schon eine Weile in Tirol, können sich in der Region gut orientieren und wollen nun Anschluss finden“, erzählt Franziska. Bei positivem Asylbescheid haben die Flüchtlinge zwar Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, müssen aber innerhalb der darauffolgenden drei Monate das Asylheim verlassen. Ein Schritt, der für viele schwer zu bewältigen ist. Umso wichtiger ist bei WG-Vermittlungen daher der persönliche Kontakt. Damit potenzielle Wohnkonstellationen auch funktionieren, organisiert „Flüchtlinge Willkommen“ ein unverbindliches Treffen zum Kennenlernen. Wenn sich danach alle Beteiligten ein Zusammenleben vorstellen können, steht einer WG-Gründung nichts mehr im Wege. „Wir stehen auch für Nachbetreuung, Erfahrungsaustausch und Konfliktberatung zur Verfügung“, fügt die Psychologiestudentin noch hinzu.

WG1: Helga, Karin, Fran und Niazali

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uf den ersten Blick sieht diese WG aus wie eine typische Erasmusstudenten-Truppe. Hier wohnen Helga aus Oberösterreich, Karin aus Tirol, Fran aus Spanien und Niazali aus Afghanistan. Fran ist gerade neu in Innsbruck angekommen und lernt Deutsch. „Wir sind aber keine Studenten-WG, sondern alle schon zwischen 26 und 36 Jahre alt“, erklärt Helga. Internationales Zusammenleben ist also nicht nur Studenten vorbehalten. „Ich liebe es einfach, neue Menschen und Kulturen kennenzulernen“, sagt Helga. Ihr wurde auf Reisen schon oft Unterschlupf gewährt, deshalb ist es für sie selbstverständlich, sich zu revanchieren. Darum wurde nach Absprache mit dem Vermieter auch ein WG-Zimmer über „Flüchtlinge Willkommen“ angeboten. Das wichtigste Kriterium: „Die Person muss zur Wohngemeinschaft passen.“

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So lernte die WG vor wenigen Wochen Niazali kennen. Er ist 26 Jahre alt, findet aber, dass er älter aussieht. „Das liegt wohl an den Erlebnissen der letzten zehn Jahre“, erklärt er. Niazali stammt aus Kunar, einer Bergregion Afghanistans, die unter anderem von Talibans umkämpft wird. „Dort wohnen Fundamentalisten, aber auch ganz normale Leute, die in Ruhe und Frieden leben möchten“, erzählt er. Und betont, dass es überall gute und schlechte Menschen gibt – das habe nichts mit dem Herkunftsland zu tun.

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Nun wohnt Niazali schon seit vier Jahren in Innsbruck, zunächst in der Trientlgasse. Über seine neue Wohnsituation ist er sehr glücklich. Vor allem mit Fran versteht er sich ausgezeichnet, die beiden bilden ein schelmisches Duo. Niazali gibt Fran Tipps beim Deutschlernen und sie gehen auch mal gemeinsam aus. Zukunftspläne hätte der Afghane viele: Ausbildung, Job, eine liebevolle Beziehung und eine eigene Familie – Pläne, die er Schritt für Schritt umsetzt. „Aber ein Cricket-Team zu gründen, das wäre auch was!“, sagt er plötzlich. Die anderen drei lachen amüsiert. „Aber im Ernst, ich kenne viele Leute, die gerne Cricket spielen, diese Sportart ist weltweit sehr verbreitet und beliebt, wie wäre es mit einem eigenen Club in Tirol?“ Interessenten mögen sich doch bitte melden.

WG 2: Gabriel, Seeyed und Hund Oskar

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eit fast einem Jahr wohnt Seeyed bei Gabriel und seinem Labradormischling Oskar. Seeyed kommt aus Afghanistan, liebt scharfes Essen und kocht sehr gerne. Aber wenn’s zu würzig wird, lehnt Gabriel dankend ab: „Geschmäcker sind eben verschieden.“ Ihr WG-Leben beschreiben die beiden als sehr unkompliziert, sie unterstützen sich gegenseitig. So üben sie zusammen Deutsch, Seeyed kann die Sprache schon sehr gut. Dafür geht er manchmal mit Oskar Gassi, und Gabriel weiß, wie man auf Dari, der persischen Sprache in Afghanistan, alles Gute im neuen Jahr wünscht.

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Gabriels und Seeyeds WG war übrigens eine der ersten, die über „Flüchtlinge Willkommen“ vermittelt wurde. Der 32-jährige Gabriel wohnt im Haus seiner Mutter in einer eigenen Wohnung, Mitbewohner hatte er immer schon. Als Sozialarbeiter hat er auch Erfahrung mit der Betreuung junger Flüchtlinge. Trotzdem ist ihm wichtig, dass das Zusammenleben ohne große Aufopferung gelingt – und das tut es auch.

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Sie waren auch schon zusammen rodeln: Bei dem Gedanken daran verdreht Seeyed die Augen, dann muss er lachend den Kopf schütteln. In einer Kurve verlor er nämlich die Kontrolle über seine Rennrodel, stürzte und verletzte sich am Knie: „Das tat so weh! Ich hatte schon Angst, mein Gelenk würde sich in alle Richtungen drehen lassen, aber es war zum Glück nur eine Prellung“, erzählt der 26-Jährige. Er nimmt’s mit Humor und macht trotzdem weiter, vielleicht klappt es heuer auch noch mit einer Skistunde.

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„Natürlich wird auch die Thematik Flucht angesprochen, aber ich unterstütze Seeyed, wie ich jeden Mitbewohner unterstützen würde“, erzählt Gabriel. Rechtsberatung und Betreuung werden nicht von ihm verlangt. „Die Organisation ,Flüchtlinge Willkommen’ begleitet aber sämtliche Abläufe sehr gut“, sagt der Innsbrucker. Bevor Seeyed in die WG zog, wohnte er im Heim, dort half er als Dolmetscher aus. Seine Deutschkenntnisse sind bemerkenswert – bei laufenden Asylverfahren keine Selbstverständlichkeit. Hier können Sprachkurse aus finanziellen und organisatorischen Gründen kaum in der notwendigen Intensität absolviert werden. Der 26-Jährige schließt aber bald Level B1 ab, und will auch mit dem Sprachenlernen weitermachen. Denn er hasst es, Zeit zu vergeuden. Er zählt sogar Wochen und Tage, die er irgendwo verbringt. Im August wird er 156 Wochen in Österreich verbracht haben.

„Flüchtlinge Willkommen“

Für die Organisation sind in Tirol acht ehrenamtliche Mitarbeiter tätig. Sie finanziert sich durch Spenden, unterschiedliche Benefizaktionen wie Snowboard-Bazare und Crowdfunding über Respekt.net.  

Bisher vermittelte WGs:
In Tirol wurden bislang 14 WGs vermittelt, österreichweit sind es schon 270. Leider ist die Nachfrage höher als das Angebot. Dafür ist das Angebot sehr bunt gemischt, es werden die unterschiedlichsten Wohnformen von den unterschiedlichsten Personen angeboten: Ein Zimmer im Haus einer älteren Dame am Land ist genauso dabei wie ganze Wohnungen für Familien.
Bis jetzt war das Feedback durchwegs positiv, bei eventuellen Problemen steht die Organisation beratend zur Seite, ebenso für ein
Erstgespräch für Interessenten.

Mietzinsbeihilfe ade? Dank einer Änderung der Mietzinsregelung müssten Studenten-WGs keinen Wegfall der Mietzinsbeihilfe befürchten, falls sie eine geflüchtete Person willkommen heißen.

Aufgabe des Staates?

Mit-Initiatorin Franziska Sprenger:
„Ich freue mich über Engagement und Großzügigkeit Privater, und sehe ein gesellschaftliches Aktivsein auch als absolut notwendig, denn Integration muss von beiden Seiten ausgehen. Dabei darf aber nicht in den Hintergrund treten, dass Wohnraumschaffung in erster Linie Aufgabe des Staates ist, der dieser Aufgabe nicht ausreichend nachkommt.“