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APRIL 2019

Mein erstes Mal:

Haris geht Wacker schauen

Die Saison für Wacker lief nicht optimal. Letzter Platz in der Tabelle
und drei Niederlagen in Folge lassen meine Kollegin und
Wacker-Fan Rebecca Müller nicht unbedingt zuversichtlich
aufs Spiel gegen den Erzrivalen Salzburg blicken. Ich gehe zunächst
mit naiver Hoffnung an die Sache ran.

Fotos: Privat
M

it offenem Mund und weit aufgerissenen Augen signalisierte Rebecca, dass es geradezu skandalös sei, als Fußballfan in Innsbruck zu leben und noch nie bei einem Wackerspiel gewesen zu sein. 

Rebecca

Ist es auch

Am 17. März komme Salzburg, meinte Rebecca, und das sei ein Highlight. Da sollten wir hin, sie als Profi und ich als Newbie sozusagen: Salzburg ist nicht nur aktueller Tabellenführer und amtierender Meister, sondern sei auch Erzrivale und Hassobjekt der Nordtribüne. Ich war natürlich dabei.

TNT.

Zu St. Patrick’s Day streife ich also meinen grünen Hoodie über, und am Stadion angekommen höre ich „TNT“ aus den Boxen dröhnen, sehe Familien, Polizisten und hartgesottene Fans in Grün und Schwarz sich im Rhythmus des Klassikers von ACDC vor dem Stadion bewegen. Das Ganze erinnert an eine Art Inszenierung, die mir Spaß macht: Alle sind in ent-spannter Erwartung eines fröhlichen Ereignisses, das keine großen Auswirkungen auf ihr Leben haben wird. 

Hinter der Osttribüne. 

Rebecca ist auch schon da. Sie winkt mich zur Ecke zwischen Nord- und Westtribüne: Hinten bei den Trainingsplätzen könne man was trinken und aufs Spiel warten, sagt sie. Als wäre sie zuhause in ihrem Wohnzimmer, spaziert sie hinter der Nordtribüne vorbei. Etwa hundert Meter vom Stadion entfernt, hinter der Osttribüne, spielen einige Jugendliche auf dem Trainingsplatz Fußball. Rebecca erzählt mir Geschichten von früheren Wackerspielen, doch das Schauspiel lenkt mich ab: Etwa acht Jugendliche nutzen nur die Hälfte des Felds und spielen Fußball ohne Tore. Ich verstehe nicht ganz, was sie machen. Einer versucht mit dem Ball alle anderen durchzudribbeln, sich dann umzudrehen und sich wieder ins Getümmel zu stürzen, verliert dabei aber den Ball und damit seine Rolle als Ballführer.

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Ich nicke, als Rebecca gerade eine ihrer Geschichten lachend beendet.

Rebecca

Habe ich mir schon gedacht, dass der mir nicht zuhört.

Sie trinkt noch ihren Weißsauer und blickt zum Stadion: „Ich habe das Gefühl, wir bekommen heute eins auf den Deckel“, sagt sie. 

Vor und nach dem Spiel: Outfit und Vorbereitung stimmen, am Ende passt nur das Ergebnis nicht.

Welcome to the Jungle.

Der Sound von Guns N’ Roses „Welcome to the Jungle“ wird lauter, je mehr wir uns dem Eingang nähern, gefilzt werden und uns auf die Nordtribüne begeben. „Alles außer Innsbruck ist scheiße!“, donnert die Nordtribüne aufs Feld, während die Spieler in Grün und jene in Weiß das Feld betreten. Der Stadionsprecher rattert die Salzburger Spieler runter, um sich bei den Innsbruckern umso mehr Zeit zu lassen und immer eine Pause nach dem Vornamen zu lassen, damit die Zuschauer Gelegenheit haben, den großgeschriebenen Nachnamen von der Anzeige abzulesen, was gar nicht so schlecht funktioniert und Stimmung macht. 

Rebecca

Im Fußball wie im Leben sind es eben die einfachen Dinge, die Freude bereiten. Und ein echter Fan muss die Namen nicht ablesen.

Mein Tipp und meine Hoffnung.

„Zwei zu eins“, sage ich zu Rebecca, als das Spiel losgeht, noch in naiver Hoffnung getränkt.

Rebecca

So putzig!

„Hoffen wir das Beste“, entgegnet eine resignierte Rebecca. Ich setze auf die Müdigkeit der Salzburger, die vor wenigen Tagen in der Europa League gegen Napoli antreten mussten, glaube, dass sie die Tiroler unterschätzen oder unmotiviert sind, da sie den ersten Platz recht souverän halten.

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Meine Hoffnungen und Wünsche sind dem Geschehen auf dem Feld diametral entgegengesetzt: Ich will Kampf und Leidenschaft sehen, stattdessen erinnert das Bild eher an die Jungs vom Trainingsfeld vorhin.

Rebecca

So schaut das bei Wacker leider öfter aus!

Hier und da wird der Ball aus der Innsbrucker Gefahrenzone gekickt. Ein Mittelfeldspieler nimmt ihn an, schaut nach links und dann nach rechts, als würde er eine Straße überqueren wollen, und schon ist der Ball weg und die Salzburger wieder im Angriff. Als Salzburg in der 21. Minute das Tor schießt, ist es beinahe erstaunlich, wie wenig Freude das auslöst. 

Rebecca

Von dem Tor­schützen, der den Boden geküsst hat wie der Papst, einmal abgesehen. Unhöflich so ein Torjubel.

Gesänge, Pfiffe und Blicke

Die Fangesänge auf der Nordtribüne flammen immer wieder auf und verstummen. Hier und da wird geklatscht. Wenn Salzburg vorne ist sogar mit Inbrunst gepfiffen. Auf der Treppe neben uns steht ein Typ mit einem 1809-Tattoo auf seiner Hand, hinter ihm vier Jugendliche mit Bier, daneben eine Familie mit zwei Kindern. Das Publikum ist durchgemischt. Gespannt wird in die Ferne geschaut, in seltenen Momenten, in denen Wacker im Sturm ist, hofft man auf ein Wunder. Doch nichts geschieht.

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Auch als kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit der Ball im Netz der Salzburger landet, dauert die Freude nur wenige Sekunden. Der Seitenschiri hebt das Fähnchen und lässt sich durch die Pfiffe nicht beirren. Mehrmals verhindert der Innsbrucker Tormann Christopher Knett, niemand weiß wie, weitere Tore.

Rebecca

Held!

Als hätte er fünf und nicht zwei Arme und als würde er mit dem Ball kommunizieren können, schiebt er ihn mal zur Seite, mal boxt er ihn übers Tor. Hinter ihm ertönt immer wieder Beifall.

Die Halbzeitrede.

Gerne würde ich schreiben, dass der Trainer in der Pause eine Monsterrede hält, nach der der Adrenalinspiegel der Schwarzgrünen dermaßen in die Höhe schnallt, dass sie das Spiel nicht nur gewinnen, sondern die Woche danach nicht einschlafen können. Doch auch dies geschieht leider nicht. Der Wind trägt die Fangesänge der Nordtribüne davon: „Innsbrucker Jungs, holt euch den Sieg für uns!“ Nur wenig Spannung kommt auf.

Rebecca

Das singen die! Den Satz habe ich nie verstanden – danke Haris!

Henning.

67. Minute, Bryan Henning rennt aufs Feld. Er sprintet von einer Seitenlinie zur anderen, dem Ball hinterher, fällt zu Boden, möchte abgeben. Henning sucht nach Möglichkeiten, er will nach vorne. Doch die Salzburger scheinen das Ding schon entschieden zu haben. Als in der 91. das Netz hinter Goalie Knett nochmal wackelt, ärgert sich nur noch der Typ mit dem 1809-Tattoo und tritt gegen das Geländer. 

Fahnen im Wind auf der Nord- tribüne – das Wetter bot mehr Action als das Spiel.

Zum Ende.

Schnell leeren sich die Tribünen, die Spieler gehen nach einer kurzen Begrüßung vom Feld, die Fahnen werden weggetragen. Die Stimmung in so einem leeren Stadion ist ganz trüb und ein bisschen traurig. Das Rumoren der Leute wird immer leiser, der DJ sucht nach dem passenden Sound: The Verve‘s „Bittersweet Symphony“ begleitet uns aus dem Stadion. So wie Richard Ashcroft im Video des besagten Songs habe ich auf dem Weg nachhause Lust, in aller Ruhe über jedes Auto oder sonstiges Hindernis zu steigen, das mir im Weg steht.

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Die Saison ist aber nicht zu Ende, denke ich mir, und wie es im Fußball so schön heißt: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“