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APRIL 2019

Kein Freitag wie jeder andere

Am 19. April ist Karfreitag, aber für Protestanten kein gesetzlicher Feiertag mehr. Stattdessen haben alle Arbeitnehmer das Recht auf Urlaub an einem „persönlichen Feiertag“, wenn sie ihn drei Monate vorher anmelden. Diese halbherzige Lösung ist typisch
für eine Kurskorrektur gegenüber Minderheiten.

A

lso sprach Sebastian Kurz: „Für 96 Prozent der Menschen ändert sich gar nichts. Für vier Prozent – nämlich für die evangelischen Menschen – ändert sich, dass sie künftig genauso viele Feiertage haben wie alle anderen Menschen auch.“ Diesem Fazit des Kanzlers ist logisch kaum zu entgegnen. Doch seiner Einschätzung, was sich für die vier Prozent verändert, fehlen Expertise wie Perspektive. Denn er gehört nicht zu ihnen. Ich schon. Vielleicht trägt meine von persönlicher Betroffenheit getragene Betrachtung dazu bei, dass die 96 Prozent besser verstehen, was die anderen verlieren.

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In den 1960er-Jahren hatte ich in der Volksschule offiziell immer eine Freistunde, während meine Mitschüler im Religionsunterricht saßen. Meistens blieb ich auch dort. Es war unterhaltsamer, als allein abzuhängen. Einmal in der Woche wurden die Protestantenkinder aus der ganzen Stadt zusammengefasst und hatten nachmittags gemeinsamen Unterricht. Der inhaltliche Abgleich war spannend. Er fehlte mir im Gymnasium, wo mein Religionsprofessor in einer Supplierstunde auch den katholischen Klassenkameraden Liebeslebenshilfe erteilte.

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Nachdem sie in ihrem Fach Luther durchgemacht hatten, fesselten sie mich auf den Kartenständer, zogen mich hoch und riefen immer wieder „Heide!“ Der Lehrer in der nächsten Stunde meinte bloß, ich solle den Blödsinn lassen und runterkommen. Meine Bandagisten halfen mir herab. Eine Hetz! Ich bin vollkommen untraumatisiert geblieben. Wir haben als Kinder und Jugendliche noch viel brutaleren Unfug getrieben. Und am Karfreitag, als ich trotzdem in die Schule statt in den Gottesdienst gegangen bin, habe ich ihnen genau erklärt, warum ich gerne anders bleibe. Dann war es ziemlich cool, etwas Besonderes sein.

Mir nimmt man mit dem Wegfall des Feier­tags keine Freizeit weg. Doch man zeigt mir die kalte Schulter statt Respekt.

Präambel und Prägungen.

Parallel dazu nahm ich an all dem teil, was das offizielle Tirol heute zwar ökumenisch zelebriert, aber urkatholisch ist. Von wegen Trennung von Kirche und Staat: In der Präambel zur Landesverfassung heißt es immer noch, dass „die Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe, die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes, die Freiheit und Würde des Menschen, die geordnete Familie als Grundzelle von Volk und Staat die geistigen, politischen und sozialen Grundlagen des Landes Tirol sind.“

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Ich war sogar Senior einer katholischen Mittelschulverbindung, die in Personalnöten mein evangelisches Bekenntnis als vernachlässigbar klassifiziert hatte (um es bei der ideologisch bedingten Entfernung dann doch zu bemühen). Ich habe im Sigmund-Kripp-Haus ausgerechnet unter den Jesuiten, einst die Protagonisten der Gegenreformation, prägende Persönlichkeiten für mein soziales und politisches Bewusstsein erlebt. Ich hatte das Privileg, als Journalist alle katholischen Bischöfe im persönlichen Gespräch näher kennenlernen zu dürfen. Und ich schätze neben der ursprünglichen Arbeit der Caritas in Tirol auch ihre Position als bedächtig, aber konsequent mahnendes soziales Gewissen im Land.

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Mir wurde nirgends der Zutritt verwehrt. Ich habe mehr katholische Messen erlebt als evangelische Gottesdienste. Aber ich war nicht Teil davon. Ich bin Teil einer Minderheit. Einer Minderheit, deren Selbstbewusstsein durch den Wegfall des Karfreitags als gesetzlichem Feiertag beschädigt wird. Dennoch bleibe ich dabei. Damit es nicht noch weniger werden.

Minder- und Mehrheiten.

Das hat etwas mit Respekt vor meiner Mutter zu tun. Sie stammt aus dem zutiefst evangelisch geprägten Bethel, einem Stadtteil von Bielefeld. Die dort beheimateten von Bodelschwinghschen Stiftungen gelten als größtes Sozialunternehmen in Europa. Das hat etwas mit meinem Vater zu tun, einem katholischen Ex-Ministranten und Südtiroler Optantensohn, der als Siebenjähriger nach Innsbruck kam. Das hat etwas mit persönlichem Minderheitenschutz zu tun. Ich bin einer von nur 27.000 in der 1,25 Millionen Einwohner zählenden evangelischen Superintendentur für Salzburg und Nordtirol.

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Das Thema „Minderheiten“ begleitet mich von Geburt an bis heute auf die vielfältigste Art. Seit ich auch in Kärnten lebe, wo der Prozentsatz an Protestanten doppelt so hoch ist, fühle ich mich ausgerechnet der katholischen slowenischen Sprachgruppe besonders verbunden. Wahrscheinlich interessiert mich Religion vor allem wegen ihrer Stempel-wirkung – obwohl ich nicht religiös bin.

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Deshalb habe ich am Karfreitag auch einst als Angestellter fast immer gearbeitet. Weil ich kein Bedürfnis zum Kirchgang verspürte. Trotzdem war der Karfreitag als gesetzlicher Feiertag wichtig für mich. Denn nie erfuhr ich größeren Respekt für mein Anderssein. Der Staat zeigte damit mehr Respekt als die Gesellschaft. Der Staat setzte ein Signal für den Umgang mit Minderheiten.

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Mir nimmt man mit dem Wegfall des Feiertags keine Freizeit weg. Doch man zeigt mir die kalte Schulter statt Respekt. Als einstiger Chef der Jungen ÖVP Wien sollte Sebastian Kurz sich gut daran erinnern können, wie es ist, wenn die erdrückende Mehrheit über eine Minderheit drüberfährt – mit dem Argument: „Ihr seid nur vier Prozent.“ Im Unterschied zu religiösen und ethnischen Minoritäten kann sich politische Majorität aber rasch ändern. Kurz und seine Türkisen sind ein Musterbeispiel dafür. Doch es kann sich ins Gegenteil verkehren, wenn sie zu viele Minderheiten brüskieren.