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APRIL 2019

„Jetzt ist es mir einfach zu viel“

Jeden zweiten Donnerstag protestieren Menschen aller Altersklassen
in Innsbruck gegen die aktuelle Bundesregierung. Rund 60 Menschen
trotzen der Witterung und der Tatsache, dass sie mit ihrem Protest wohl
nicht viel ausrichten werden. Was bewegt diese Menschen?

Fotos: Donnerstagsdemo
 „Jetzt ist es mir einfach zu viel“

Vom Schilderhaufen vor der Annasäule sucht sich jeder seinen Protestgrund aus.

 „Jetzt ist es mir einfach zu viel“

Den ganzen Winter hindurch und bei jeder Witterung hat die Donnerstagsdemo stattgefunden.

 „Jetzt ist es mir einfach zu viel“
 „Jetzt ist es mir einfach zu viel“

Selbst die Kleinsten sind bei den Demos. Schliefllich geht es langfristig um ihre Zukunft.

E

s ist wieder soweit, wir sind wir, und wir haben schon wieder diese Zeit, sie ist wieder da, und sie gehört uns, diesmal aber wirklich, diesmal hören wir nicht zu früh auf.“ Diese Worte schrieb Elfriede Jelinek in ihrem Aufruf an Österreich, donnerstags wieder zu protestieren – gegen Schwarz-Blau, den Sozialabbau, die Ausbeutung der Arbeiter und gegen den Faschismus.

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Rund eine Stunde vor Beginn der Innsbrucker Version der Donnerstagsdemo haben bis dato 612 Personen auf Facebook solidarisch den „Interessiert“-Button gedrückt. Kurz nach sechs sind es gut 60 Menschen, die vor der Annasäule warten – Studierende, Pensionisten, Polizisten, Familien mit Kinderwagen und eine kleine Marschkapelle, das Street Noise Orchestra.

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Unter den Demonstrierenden ist Annemarie. Zwei amerikanischen Touristen, die stehengeblieben sind, erklärt sie, warum hier protestiert wird, und will im Gegenzug wissen, wie sie über ihren Donald Trump denken. Jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat kommt sie wie viele andere hierher, um Widerstand zu leisten. 

Eine österreichische Tradition.

Aus den mobilen Boxen dröhnt „Bella Ciao“, ein antifaschistisches Partisanenlied aus dem Zweiten Weltkrieg und zugleich der Sommerhit 2018. Die Menge zieht von der Maria-Theresien-Straße in Richtung Triumphpforte. Es ist kalt und es regnet, aufweichende Pappschilder postulieren die Einhaltung der Menschenrechte, den Rücktritt des Innenministers, das Ende der Massentierhaltung. Der Protest ist friedlich, die Polizei folgt auf Schritt und Tritt. 

Kurz nach sechs sind es gut 60 Menschen, die vor der Annasäule warten.

 

Auf den Jutebeuteln einiger Teilnehmer steht „Es ist wieder Donnerstag“. Die Geschichte der Donnerstagsdemo geht zurück auf das Jahr 2000. Die drittplatzierte ÖVP koalierte damals nach den Nationalratswahlen 1999 mit Jörg Haiders zweitplatzierter FPÖ – Wolfgang Schüssel wurde Bundeskanzler. Viele Wähler fühlten sich hintergangen. 18 Jahre später ist der Protest gegen die Regierung Kurz zahlenmäßig kleiner: Am Tag der Angelobung protestierten laut Polizei 5.500 Menschen am Ballhausplatz, bei der ersten „neuen“ Donnerstagsdemo am 4. Oktober 2018 waren es 3.000 bis 4.000 Demonstrierende, wobei die Veranstalter von 20.000 ausgingen. Heute sind die Donnerstagsdemos nicht mehr auf Wien beschränkt. In Linz, Salzburg, St. Pölten, Amstetten, Graz und hier in Innsbruck ziehen Menschen durch die Stadtzentren. Mesut Onay von der Alternativen Liste Innsbruck ist einer der lokalen Protest-Initiatoren und behält auf der Demo den Überblick, schüttelt Hände, singt Protestlieder mit. Ihm geht es um „zivilgesellschaftliches Engagement“.

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Der öffentliche Raum müsse für politische Auseinandersetzungen genutzt werden, denn „wir haben in Österreich das Demonstrieren verlernt“. Seit Jänner findet Innsbrucks Donnerstagsdemo nur mehr 14-tägig abwechselnd als Umzug oder Standkundgebung mit Performances vor der Annasäule statt. Das lasse dem Organisationskomitee mehr Luft zum Planen. 

„Das Überthema ist ein achtsamer nachhaltiger Umgang untereinander.“

Christina Angerer, Mitglied Donnerstagsdemo-Kommitee

Protestgesichter. 

In der Wilhelm-Greil-Straße, ungefähr bei der Hälfte der Strecke, stockt die Demo kurz. Hilde hält in der einen Hand einen grünen Regenschirm, in der anderen ein im Regen umgeknicktes Schild. „Österreich darf nicht Ungarn werden“, steht darauf. Die Pensionistin geht zum ersten Mal in ihrem Leben regelmäßig demonstrieren. „Jetzt ist es mir einfach zu viel. Ich muss etwas tun und wenn es nur demonstrieren ist, weil ich sonst explodiere“, ruft sie gegen den Demolärm an. Vor allem die Freiheitlichen stören sie, „weil sie einfach tun, was sie wollen, und alles überfahren“.

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Nicht weit weg von ihr geht Christina, Komparatistikstudentin und regelmäßige Demonstrantin. „Ich bin eine Küchentisch-Politikerin, aber irgendwann ist man gezwungen, vor die Tür zu gehen.“ Die jungen Leute findet sie absolut „demonstrationsmotiviert“. Als die Protest-runde durch die Stadt schließlich endet, versammelt sich die Gruppe im Halbkreis vor der Annasäule. Es gibt Ansprachen, Aufrufe zum Engagement und Applaus für die Polizisten, die vom Rand der Demo aus zurückwinken. In einer der letzten Reihen stehen Anastasia und Theresa, Studentinnen mit einer EU-Fahne. Anastasia sieht den Rechtsstaat in Gefahr, beklagt die BVT-Affäre und die Aktionen von Innenminister Herbert Kickl. „Es bringt nichts, einfach Onlinepetitionen zu unterschreiben. Man muss sich hinstellen und zusammenhalten.“ Theresa ist es wichtig, sich mit Menschen zu konfrontieren, die nicht der gleichen Meinung sind. 

Schilderhaufen.

Sobald die Reden vorbei sind, löst sich die Gruppe auf. Christina Angerer bleibt noch da. Sie ist Teil des Komitees und eine der frühesten Demonstrantinnen der Innsbrucker Donnerstagsdemos. Die Proteste in Innsbruck sind von verschiedenen Privatpersonen organisiert – dementsprechend flächendeckend sind die Grundthemen der Demonstrationen: Menschenrechte, Demokratie, soziale Wärme, die Zukunft und ein respektvolles Miteinander. „Das Überthema ist ein achtsamer nachhaltiger Umgang untereinander, mit Tieren, mit der Umwelt. Es bezieht alle Systeme mit ein“, erklärt Angerer.

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Am Ende regnet es immer noch, die letzten Protestierenden verlassen durchnässt die Kundgebung. Für heute haben die einen für ihre Forderungen, die anderen für ihr politisches Engagement demonstriert. Am Ort der Kundgebung wird der Würstelstand eingerichtet und für den Abend vorbereitet. Zurück bleibt ein Haufen Schilder am Fuße der Annasäule.