us’zapft is. Auf der Theresienwiese in München, im Prater in Wien, auf der Herbstmesse in Innsbruck. Da mag der Spätsommer sich wettermäßig noch so sehr des Frühherbstes bemächtigt haben, die Oktoberfeste sind vorbei wie der Oktober. Am Ursprungsort wie für die unzählbaren Epigonen in Stadt und Land. Doch die Landlust feiert ungebrochen fröhliche Urständ, der Dialekt liegt im Trend, die Heimat boomt. Was hier dem Land Tirol die Treue, ist andernorts das Aufsteirern. Noch ringen die Bilanzen von Villacher Kirchtag und St. Veiter Wiesenmarkt mit dem Wiener Oktoberfest um die Führungsposition der Brauchtumsveranstaltungen, schon lockt das Törggelen nach Südtirol, sind die Weihnachtsmärkte allerorten absehbar und steht das Salzburger Adventsingen vor der Tür.
Während die Demographen ein düsteres Zukunftsbild der realen Landflucht samt entvölkerten Tälern malen, zelebrieren die derart künftig noch mehr heimgesuchten urban Ansässigen längst die geistige Stadtflucht. „Landlust“, seit 2005 auf dem Markt, ist die Speerspitze des Wohlfühl-Trends wider die Globalisierung. Diese Urmutter des Magazinbooms mit ruralem Anstrich hat mittlerweile 4,2 Millionen Leser in Deutschland. Ihr Pendant „Servus in Stadt & Land“ bringt es auf 770.000 in Österreich, ist hier das reichweitenstärkste Monatsmagazin und kommt ausgerechnet bzw. folgerichtig aus dem Zeitgeist-getriebenen Red Bull Media House. Mitten in der Printmedienkrise erzielen lediglich solche Titel noch Publikumsrekorde: Die aktuelle Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse sieht unter Deutschlands zehn Zeitschriften mit den größten Reichweitenzuwächsen neben dem abermaligen Sieger „Landlust“ noch vier weitere Titel des Boom-Genres. Der Trend befördert auch „Meine gute Landküche“, „Mein schönes Land“, „Mein schöner Garten“ und „Landidee“ in die Top Ten. Allein diese fünf Magazine legen gegenüber dem Vorjahr um 1,4 Millionen auf insgesamt neun Millionen Reichweite zu. Hollareithulliöh!
Von der SMS zu Dirndln und Lederhosen.
Unterdessen verfestigen die Youngsters als wahre Trendsetter den Durchmarsch der Digital Natives an die Heimatfront: Gleichgültig ob per SMS oder via WhatsApp, egal ob im Facebook oder auf Instagram, unabhängig von der operativen Modernität aller Online-Kommunikation, vollziehen sie den Austausch mehr denn je, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Getippt wird im Dialekt, obwohl dabei keine Wortvervollständigung gegen Schreibfaulheit zur Verfügung steht. Der grassierende Jugendwahn einer rasant alternden Gesellschaft wird auch dieses Beharren auf Mundart zur erwachsenen Attitüde adeln.
Die Landlust feiert ungebrochen fröhliche Urständ, der Dialekt liegt im Trend, die Heimat boomt.
Das Phänomen durchzieht zunehmend alle Lebensbereiche. Wenn Selbstdarstellung die neue Unterhaltung ist, wie Arianna Huffington als Ikone der weltweiten Internet-Medienmache soeben in Wien kundtat, bricht das Volkstümliche sich Autobahnen auch abseits von ländlichen Rahmenbedingungen. Ideologisch, historisch und politisch bedingte Hemmschwellen fallen parteiübergreifend. Grüne wie Sozialdemokraten zeigen immer weniger Berührungsängste zu Dirndln und Lederhosen. Je ranghöher, desto zeltfest-tauglicher agieren die Mandatare.
Das Trachtenpärchen als Zeitgeistspiegel.
Die durchaus realitätsgetriebene Stilisierung von Tirols Landeshauptmann Günther Platter und Stellvertreterin Ingrid Felipe zum Trachtenpärchen ist kein Ausnahmefall, sondern prototypisch für die stilistische Hinwendung des Volkes zu Heimat und Scholle, während seine Eliten von der Entnationalisierung träumen und die Europäisierung predigen. Parallel zur technisch getriebenen Globalisierung und einer Politik, deren größte aktuelle Schwäche ihre mangelnde Strategiefähigkeit ist, überfordern solche Visionen die Masse der Geborgenheit Suchenden in einer auseinanderstiebenden Gesellschaft. Während der soziale Kitt grundsätzlich brüchig wird, dominiert an der Oberfläche die Suche nach dem Zusammenhalt.
Heimat, Tracht und Dialekt, die externen Indikatoren für Herkunft, Einordnung und Selbstverortung sind der kleinste gemeinsame Nenner dafür.
Die Abfolge der Tiroler Landeshauptleute erscheint wie eine Indizienkette für den Verlauf dieser Entwicklung. Verkörperte Alois Partl nach Eduard Wallnöfer noch eindeutig das bäuerliche und ländliche Element, war Wendelin Weingartner für die städtische Ausprägung der bisher klarste Exponent. Schon Herwig van Staa vollzog ungeachtet seiner früheren Funktion als Bürgermeister von Innsbruck einen kleinen Schritt zurück aufs Land. Sein Pendeln zwischen Hauptstadt und Barwies war typischer für diese Tendenz als Wege zwischen Wohnung und Büro es gemeinhin sind.
Denkwerker und Freunde der Blasmusik.
Günther Platter verdankt keinen kleinen Teil des Erfolges seinem rustikalen Auftreten, das er trotz aller sprachlichen Anpassungsversuche auch als Minister in Wien nicht abgelegt hat. Er taugt heute kaum für die „Satisfaction“ seiner einstigen Rockband, überzeugt aber als Freund der Blasmusik. Dabei entspricht sein Typus weniger der wirklichen gesellschaftlichen Entwicklung, sondern eher einem verunsicherten, nach real greifbarem Halt suchenden Zeitgeist.
Die Stilisierung von Günther Platter und Stellvertreterin Ingrid Felipe zum Trachten-pärchen ist kein Ausnahmefall.
Das Selbstbewusstsein nicht nur, aber eben auch der Tiroler verhält sich reziprok zum wieder stärker nach außen gestülpten „Bisch a Tiroler, bisch a Mensch. Bisch koana, dann … ehschuwissn“. Nirgends schimpfen sie mehr auf die – ganz andere! – Hypo als hier.
Gerade die große Internationalisierung als Vormacht im Tourismus und Studientreffpunkt der Deutschen und Südtiroler, der Vorarlberger und Luxemburger schafft auch Bewusstsein für Defizite im Wettbewerb der Regionen. Also lieber „fein sein, beinanda bleibn“ anstatt einen Weg nachzuvollziehen, wie ihn der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler vorgezeichnet hat. Dass er nun das Europäische Forum Alpbach leitet, dieser hier trotz Tirol-Tag extraterrestrisch anmutenden Denkwerkstatt bürgerlicher Provenienz, untermauert gleich in doppelter Weise den skizzierten Trend zum Eingemachten – wenngleich auch paradox. Physiognomisch und in seiner Bärbeißigkeit wohl eher ein legitimer Nachfolger des legendären „Walli“, ist dieser Bauernbub aus Absam zu weltoffen für eine größere Karriere im Land. Diesem reicht es schon vollends, dass der Gendarm aus Zams es zum Verteidigungs- und Innenminister gebracht hat, um mit solch immer wieder betonter Welterfahrung im Rucksack die heimatlichen Geschicke zu lenken. Gefährdet nur kurzfristig von einem, der in seiner Selbstdarstellung am besten Klavier gespielt hat zwischen den traditionell chauvinistischen Bedürfnissen der Tiroler und dem Heimatboom allerorten: Fritz Dinkhauser, dieser Archetypus eines Arbeiterführers in einem Land ohne Arbeiterschaft, mag schon regionalpolitische Geschichte sein. Doch die lokalkolorierten Geister, die er früher rief als viele andere, werden wir nicht los. O’zapft is.