mmerhin ein halbes Jahr bereits tobt in diesem vermeintlichen Nichtwahljahr einer der heftigsten Wahlkämpfe der Zweiten Republik. Weder Zwentendorf-Plebiszit 1978 noch Waldheim-Wahl vor 30 Jahren und nicht einmal der Tabubruch einer schwarzblauen Koalition zum Jahrtausendwechsel erzeugten derartige Vertrauensverluste in ein System des Zusammenlebens, das aber noch mehr daran krankt, dass die Bürger es zu wenig kennen. Dies gilt auch für jene Kreise, die sich als Bildungselite wähnen und hinter vornehm vorgehaltener Hand über das Wissensproletariat erschrecken, während die – entre nous – derart ins Eck Gestellten dort massenhaft und stolz ihren Opferstatus zelebrieren. Von Unklugen für dumm verkauft zu werden, schafft perfekte Positionen zur Selbstverteidigung.
//Der Mangel an demokratischem Grundverständnis und politischer Bildung reicht vom widerlichen Stammtisch-Geplärre der wahren Hackler bis zur feinen Vorurteilspflege in bürgerlichen Salons. Dieses doppelte Manko wirkt mitunter als größte Gemeinsamkeit für diese unsere Gesellschaft, deren angeblich wachsende Polarisierung seit Monaten die veröffentliche Agenda beherrscht. Ihr allzu häufiges Abweichen von der wahren öffentlichen Tagesordnung ist eine Ursache für die aktuelle Verblüffung.
Es hat sehr viel mit Digitalisierung, Globalisierung und Demokratisierung des aktiven Medienzugangs zu tun, dass heute sichtbar wird, was wohl immer schon da war. Erst die Möglichkeit, es massenwirksam zu verkünden, sorgt für die Aufschaukelung der Gegenpositionen. Die aktuell beobachtete Eskalationsspirale ist auch eine Folge davon, dass diese Beobachtung möglich ist.
Die Lautsprecher des Unsäglichen.
3,5 Millionen Österreicher auf Facebook taugen prächtig als Subjekte zur Observierung derer, die ihre privilegierten vertikalen gesellschaftlichen Zugänge dort horizontal noch einmal verbreiten können. Die erfolgreichsten Politiker, die populärsten Journalisten, Wissenschaftler wie Berater, Weltkonzerne und Ich-AGs: Professionelle Selbstvermarkter sind auf Social Media unterwegs. Im Bewusstsein der Fan-Stärke ihrer öffentlichen Accounts vergessen jene, die sich nicht um Aufmerksamkeit anstellen müssen, leicht, wie gut sich diese Plattformen für abgeriegelte Parallelwelten eignen. Eine geschlossene Facebook-Gruppe gegen etwas ist schneller gegründet als diese Kontra-Position ergründet. Und die Frage, wer in diesem Menschen-Zoo vor oder hinter den Gittern steht, lässt sich nicht beantworten.
Schon diese gegenseitige, verblüffte Beobachtung hat mehr Brüche, Gräben, Klüfte, Risse, Spalten in unserem Gemeinwesen aufgedeckt, als Massenmedien vermitteln können. Denn der redaktionelle Maßstab der Relevanz steht gleichberechtigt neben dem journalistischen Auftrag zur Objektivität. Erst die via Web 2.0 unüberschaubare, aber gleichberechtigt nebeneinander liegende Masse an Irrelevantem entschleiert – wohlwollend betrachtet – die wahre Bandbreite der sozialen Diversität oder – kritisch analysiert – die Abgründe inmitten der Gesellschaft. Das wird umso deutlicher, je mehr sich auch viele bisher zum Glück Einflussarme aus ihren Löchern wagen und via Social-Media-Postings bei den echten Medienwelt-Promis zu Lautsprechern des Unsäglichen werden. Allein die Erfahrung, beachtet zu werden, lässt die virtuellen Marktschreier auf den Smartphone-Tastaturen immer extremer geraten und sogar den Schutz der Anonymität verlassen. Gruppenakzeptanz macht hoffähig im jeweiligen geistigen Biotop. Das Pseudonym ist ein Hemmschuh auf dem Weg zum Starstatus in der Peergroup.
Das Bild von der tief gespaltenen Republik ist vor allem die Folge eines fast puren Medien-Wahlkampfs.
Die Länder sind nicht das Land.
Wenn nun etablierte Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen dennoch bis heute gebraucht haben, um das Ausmaß der Polarisierung, den Tempounterschied von Jung und Alt, die Wertedrift zwischen Stadt und Land, die Verbitterung über die da oben und die Herablassungen gegen die da unten endlich in einen möglichst breiten Diskurs einzubringen, liegt das an ziemlich banalen Ursachen: 1. Der Wahlk(r)ampf dauert viel zu lange, braucht aber auch große Themen. 2. Die weitaus größte Social-Media-Plattform Facebook erschien hiesigen intellektuellen Eliten lange als zu banal. 3. Der öffentliche Blickwinkel wird trotz Social Media weiterhin stärker durch die Metropole als aus der Provinz geprägt.
//Gerade diese Perspektive aber trüge zur Beruhigung bei. Als die Hauptstadt „Wien ist anders“ zur Selbststilisierung plakatieren ließ, hat das niemanden verwundert.
Dagegen erstaunt, dass in allen Landeshauptstädten, aber kaum einem Land Alexander Van der Bellen vor Norbert Hofer lag. Sogar auf dem Unterschied zwischen Bezirksstädten und Landgemeinden lässt sich seit jeher mindestens so breit Klavier spielen wie auf der Differenz zwischen Wien und dem, was es als Rest der Republik noch wahrnimmt. Die Tiefenschärfe endet dabei nur allzu oft bei den Ländern und dringt nicht ins Land ein.
Von Spiss über Pfafflar bis Grünix.
Die Befürchtung einer wachsenden gesellschaftlichen Kluft verharrt noch zu sehr an den Unterschieden selbst. Das ist paradox in einer Ära, die mehr als je zuvor der Diversität unterliegt. Dass Norbert Hofer in Spiss mit 87,5 Prozent sein bestes Tirol-Ergebnis erzielt, sagt so wenig aus wie Alexander Van der Bellens Rekord – abseits seiner Heimatgemeinde Kaunertal – in Pfafflar mit 79,1 Prozent. In beiden Nestern zusammen haben nicht einmal 100 Menschen gewählt. Und sie reden da wie dort noch miteinander; auch ohne die Kommunikationskrücke Facebook.
Die Sorge gilt der Wiederfindung dieses gemeinsamen Gesprächs. Es ist „in echt“ leichter zu führen als im Netz. Schriftlichkeit erschwert die empathische Sprachwahl gegenüber dem anderen. Der massenhafte Wort- und Bildtransport verschärft diese Kluft, anstatt sie durch die Einfühlsamkeit eines Aug-in-Augs mindern zu können.
//Das Bild von der tief gespaltenen Republik ist vor allem die Folge eines fast puren Medien-Wahlkampfs mit geringer persönlicher Präsenz nicht nur der Kandidaten, sondern auch der Wahlberechtigten. Das Aufklaffen der gesellschaftlichen Risse entspringt auch diesem Mangel an kittenden Gesprächen.
//Am Ende des Asterix-Bandes Nr. 25 „Der große Graben“ beschließen die Dorfbewohner, aus ihm einen Kanal zu bauen. Sie einigen sich dabei auch auf einen neuen gemeinsamen Häuptling: Er heißt Grünix.