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SEPTEMBER 2020

Dating im Zeichen des Babyelefanten

Was macht eine Pandemie mit der Partnersuche? 6020 hat einen Partnervermittler und drei Singles gefragt, wie und ob man in Zeiten von Corona langfristig daten kann.

Illustration: Monika Cichoń

Zwei Drittel der Personen in Single-haushalten fühlten sich im April einsam.

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insamkeit macht unzufrieden und wer zufriedener mit seinem Liebesleben ist, der ist umgekehrt auch weniger einsam. Was man im Austausch mit Freunden vielleicht schon gehört hat, wurde in einer aktuellen Studie der Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller an der Sigmund Freud Privatuniversität bestätigt: Zwei Drittel der Personen in Singlehaushalten fühlten sich im April einsam. Bei Menschen mit „unverbindlichen sozialen Kontakten“ oder „unverbindlichen Beziehungen“ hat sich das Liebesleben eingeschränkt: Die Hälfte der ersteren hatten zu ihren aktuellen Sexpartnern selten oder gar keinen Kontakt, die zweiten häufiger zu ihren Ex-partnern als vorher. 45 Prozent der 18- bis 20-Jährigen bezeichneten in der Umfrage ihr Sozialleben überhaupt als „trostlos“. 

 

Kurz gesagt: Singles, die mit ihrem Beziehungsstatus unzufrieden sind, haben es zurzeit nicht leicht. Nach sechs Monaten Pandemie ist Corona längst ein Dauerzustand und ein Date mit Mund-Nasen-Schutz oder imaginiertem Babyelefanten für viele keine angenehme Vorstellung. Wie wichtig ist die Partnersuche in Zeiten von Corona und wie soll man zurzeit überhaupt jemanden kennenlernen? 

 Miteinander gehen. 

Wolfgang Posch betreibt das Innsbrucker Büro der Partneragentur Contacta. „Im Lockdown haben die Leute gespürt, was Alleinsein bedeutet“, erklärt er. Den Lockdown hat auch die Agentur zu spüren bekommen, April und Mai waren aber „gute Monate“ mit wieder mehr Kundenzulauf. Posch ist so etwas wie Tinder mit Hirn. Menschen auf Partnersuche kommen zu ihm ins Büro und werden in eine Kartei aufgenommen, die wiederum anderen Singles vorgelegt wird. Auch wenn das Konzept einer klassischen Partnervermittlung etwas altmodisch anmaßt, hat Posch keine Angst vor in Corona-Zeiten boomenden Dating-Apps. Er will mit Regionalität punkten und Idealvorstellungen von Partnern auflockern: „So manche Kundin kommt hierher und meint: 178 cm Körpergröße wäre schön. Und nach einer halben Stunde sagt dieselbe Person: Der Chef wäre nicht mehr zu haben? Dann sage ich: Nein, ich wäre Ihnen ja zu klein.“ 

 

Hohe Ansprüche beim Online-dating hält Posch für ein großes Problem. Außerdem sieht er Leute, die „nicht gut Rechtschreiben können“ im Nachteil. Das Ergebnis einer niederländischen Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass Tippfehler, Regelverstöße und Fehler durch eine informelle Sprache potenzielle Partner unterm Strich weniger attraktiv erscheinen lassen. 

45 Prozent der 18- bis 20-Jährigen bezeichneten in der Umfrage ihr Sozialleben überhaupt als „trostlos“.

FOMO fällt flach. 

Auch Viktoria ist eine korrekte Rechtschreibung beim Chatten wichtig. Auf Dating-Apps ist es schließlich „das Einzige, was man zum Ausdruck bringt.“ Dating-Apps erleben gerade einen nie dagewesenen Boom. Allein im ersten Quartal des Jahres hatte Tinder ganze sechs Millionen Abonnenten. Damit war der Onlinedating-Gigant, lässt man Gaming-Apps beiseite, die umsatzstärkste App auf dem Markt. Auf Partnersuche ist Viktoria momentan nicht. Im Gegenteil: „Als der Lockdown kam, habe ich es genossen, für mich alleine zu sein.“ So wie sich die Situation momentan entwickelt, macht sie „lieber etwas alleine, bevor ich auf ein halbherziges Date gehe.“ FOMO, fear of missing out (Millennial-Sprech für „etwas verpassen“), fällt durch Corona für viele flach. In Barbara Rothmüllers zu Beginn zitierter Studie steht, dass 35 Prozent der Menschen ohne sexuelle oder romantische Beziehung erleichtert darüber waren, „dass während des Lockdowns niemand von ihnen erwartete, ein aktives Sexleben zu führen.“ Bei asexuellen Personen war es sogar jede zweite Person und bei Menschen in Beziehung ganze 18 Prozent, die eine „geringere sexuelle Erwartungshaltung“ durch Corona erleichterte. 

„Im Lockdown haben die
Leute gespürt, was Alleinsein
bedeutet.“ 

Wolfgang Posch

Soziale Räume und eine Generationenfrage. 

David Prieth empfindet die aktuelle Datingsituation als etwas belastender: „Mir kommt vor, dass sich zurzeit viel mehr dieses Gefühl durchschlägt, dass ich etwas verpasse.“ Dating in Zeiten von Corona ist für David zwar nicht tabu, jedoch mit gegenseitigem Vertrauen verbunden, denn: „Ich glaube nicht, dass ich bei einem Kuss sagen würde: Sorry, eine Armlänge Abstand!“ Beruflich betreffe ihn jedoch „weniger die Schmus-fraktion als die Veranstalterfraktion.“ Als Clubbetreiber sind die mittlerweile seit Monaten geschlossenen Nachtclubs wichtige soziale Räume. Dort gebe es nicht nur wichtige Kontakte, sondern „magische Momente, in denen man sich leichter verlieben kann.“ 

 

Genau wie die Jungen nötigt Corona auch die älteren partnersuchenden Singles, die in ungefährlicheren Zeiten gerne das Tanzbein schwingen, zu virtuellen Ausweichmöglichkeiten. Beim Onlinedating sieht Prieth die Generation „50 plus“ im Nachteil. Und tatsächlich: Wissenschaftler von der University of Michigan bestätigen in einer beunruhigenden Studie, dass heterosexuelle Männer beim Onlinedating 18-jährige Frauen am attraktivsten finden und Frauen wiederum Männer bis 50 Jahre. Über das subjektive Empfinden der Einsamkeit hat Rothmüller in ihrer Studie herausgefunden, dass sich die Personengruppe ab 51 vergleichsweise am wenigsten isoliert und ungefestigt in ihren Beziehungen fühlt. 

„Als der Lockdown kam, habe ich es genossen, für mich alleine zu sein.“ 

Viktoria

„Mir kommt vor,
dass sich zurzeit viel mehr dieses Gefühl durchschlägt, dass ich etwas verpasse.“ 

David Prieth

Verlorene Jugend. 

„Im Leben will man immer das, was man gerade nicht haben kann“, meint Teresa. „Vorher wäre es einem vielleicht gar nicht bewusst gewesen, dass man gerade kein Date hat. Man hätte einfach sein Leben gelebt.“ Die Studentin bleibt zurzeit lieber unter ihren Freunden. Ein Tinder-Date will sie nicht erzwingen und schon gar nicht „mit dem nächstbesten auf ein Date gehen.“ Teresa könnte sich zwar vorstellen, dass online eine Freundschaft entsteht. „Die große Liebe“ zu finden, ohne die Person im echten Leben zu sehen, kann sie sich jedoch nicht vorstellen. 

 

Partnervermittler Wolfgang Posch bedauert, dass vor allem die ganz jungen Leute – er selbst hat eine 17-jährige Tochter – an der nur eingeschränkt möglichen Intimität leiden. „Den jungen Leuten nimmst du die Jugend, den Leichtsinn irgendwo zu sitzen, zu trinken.“ 

 

Während diese Zeilen geschrieben werden, stieg die weltweite Zahl der Corona-Toten auf 800.000. Die Partnersuche mag auf der Prioritätenliste in einer Welt mit Covid-19 nicht auf Platz eins stehen, doch Wolfgang Posch ist überzeugt: „Einsamkeit macht krank.“ 

„Im Leben will man
immer das, was man gerade nicht haben kann.“ 

Teresa