Wir empfehlen
SEPTEMBER 2016

Girl, you’ll be a Woman soon

Die Sexualpädagogin Bettina Weidinger weiß, welche Fragen Kinder und Eltern im Jahr 2016 beschäftigen. Am 13. September hält sie in Innsbruck einen Vortrag zum Thema „Erwachsene Überforderung & jugendliche Verharmlosung“.

Foto: Nadja Meister, Illustration: Monika Cichon

 

Zur Person

 

Bettina Weidinger ist Sexualpädagogin und Sexualtherapeutin sowie pädagogische Leiterin des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik.

Vortrag

 

Am 13. September ist Bettina Weidinger um 19 Uhr für einen Fachvortrag mit Diskussion zum Thema "Sexualpädagogik in der Mädchenarbeit – Erwachsene Überforderung & jugendliche Verharmlosung" in der Bäckerei zu Gast.

 

Begrenzte Teilnehmerzahl, Anmeldung unter: [email protected]

6020:

Mit welchen Themen kommen Eltern von jungen Mädchen am häufigsten zu Ihnen? 

 

Bettina Weidinger:
Eltern haben sehr oft Fragen, die sich auf die autonome Lebensgestaltung ihrer Kinder beziehen. So anstrengend ein Kindergartenkind auch ist – es mischt sich weder in die familiäre Urlaubsgestaltung ein noch ist es stundenlang alleine unterwegs. Für die meisten Eltern ist es gut aushaltbar, wenn die Vierjährige entscheidet, bei strahlendem Sonnenschein Gummistiefel zu tragen. Es gibt keine langfristigen Auswirkungen dadurch und wirkt zudem vielleicht noch süß – Kinder eben! Wenn die eigene Tochter aber mit zwölf Jahren entscheidet, dass sie sich gerne grell geschminkt und mit weit ausgeschnittenem T-Shirt und hohen Schuhen zeigt, dann wird dies möglicherweise nicht mehr als „süß“ empfunden. Anders gesagt: Das, was Eltern vor allem beschäftigt, sind jene Themen, wo sich die eigenen Kinder komplett vom aktuellen „Elternstil“ unterscheiden.

Und welche konkreten Fragen kommen am häufigsten zur Sprache? 

Heranwachsende, ganz egal ob Mädchen, Burschen oder intersexuelle Personen, sind dabei, den eigenen Stil und Lebenszugang zu finden. Für Eltern kann dies bedeuten, es auszuhalten, dass nicht alles mit dem bisherigen Familienbild zusammenpasst. Häufige Themen in diesem Zusammenhang sind die Verwendung von sozialen Netzwerken, die Freizeitgestaltung, der Freundeskreis. Auch das Thema Verhütung spielt eine Rolle und die Sorge, welchen Umgang die eigene Tochter mit ihrer Sexualität findet. Manchen Eltern fällt es in diesen Situationen schwer, deutlich zu machen, dass die Beziehungsebene zum eigenen Kind immer erhalten bleibt – auch dann, wenn möglicherweise gerade sichtbar ist, dass es kaum gemeinsame Anknüpfungspunkte gibt.

Schwierig wird es Für Eltern dann, wenn sich das Verhalten der Kinder komplett vom aktuellen „Elternstil“ unterscheidet.

 

Und was beschäftigt die jungen Mädchen ihrer Erfahrung nach selbst am meisten?

Mit zehn bis zwölf Jahren interessieren sich viele Mädchen für das Thema körperliche Veränderungen. Was passiert in meinem Körper? Wie ist das mit dem Brustwachstum, der Regelblutung, der Körperbehaarung? Aber auch die Themen Verliebtsein und Beziehungen beschäftigen die jungen Köpfe. Und natürlich das Thema Sex. Was stimmt von den Dingen, die als Gerüchte weitererzählt werden, die in Serien vorkommen? Im Prinzip bleiben diese Themen auch später noch interessant, nur werden sie persönlicher, die Fragen konkreter.

// 

Wünschenswert wäre, wenn diese jungen Frauen klare, ehrliche und positiv motivierende Antworten bekommen würden. Stattdessen geht es sehr häufig um Schuld, Scham, Zurückhaltung und Vorsicht. Eine 14-Jährige, die stolz auf ihre Brüste ist, gilt relativ rasch als „übersexualisiert“ oder „obszön“. Stolz darauf zu sein, dass sich das Mädchen zur Frau entwickelt – das kommt im Sprachgebrauch gegenüber Jugendlichen selten vor. Begeisterung wäre aber mit Sicherheit ein guter Motivator, um ein positives Selbstbild zu entwickeln. 

 

Sind Mädchen statistisch gesehen tatsächlich früher sexuell aktiv als noch vor zehn, 20, 30 Jahren?

Grundsätzlich hege ich eine recht große Skepsis gegenüber statistischen Erhebungen. Bei mir drängt sich sofort die Frage auf, warum dieses Thema überhaupt für andere – in diesem Fall Erwachsene – von Interesse sein könnte. Jugendlichen gegenüber sage ich gerne, dass es wirklich und tatsächlich etwas Privates ist, wie,

wann, wozu und wie oft die eigene Sexualität gelebt wird. Natürlich darf darüber gesprochen werden – aber niemand muss es tun! Wenn man sich die Studien der letzten 20 bis 30 Jahre ansieht, dann hat sich bei der Angabe des ersten heterosexuellen Geschlechtsverkehrs nicht viel verändert. Jenes Alter, in welchem 50 Prozent der Jugendlichen angeben, diese Art von sexuellem Kontakt erlebt zu haben, ist gleichgeblieben. Allgemein betrachtet wäre es wichtig zu überlegen, warum diese Frage nach dem „Durchschnittsalter“ immer wieder gestellt wird. Für wen und wozu sollte dies wichtig sein? Es gibt für einen Menschen kein „zu früh“ und auch kein „zu spät“. Die Sexualität ist von Geburt an Teil jedes Menschen. Sie ist daher ein Aspekt menschlicher Entwicklung. Und diese endet nicht mit dem ersten heterosexuellen Geschlechtsverkehr – sie beginnt aber auch nicht damit. Es scheint so, als würde die Gesellschaft die Moral der Heranwachsenden immer noch darüber definieren. 

 

Wie beeinflusst zum Beispiel die mittlerweile omnipräsente Internetpornografie die jungen Erwachsenen? Stehen Mädchen hier unter einem besonderen Druck? 

Gesellschaftliche Vorstellungen von Schönheit und von Geschlechterrollen beeinflussen die Entwicklung von Kindern. Diese Vorstellungen wurden immer schon durch Erwachsene, durch Zeitschriften, Kinderfilme etc. transportiert. Und sie werden natürlich heute auch im Internet transportiert. Gesellschaftliche Vorgaben engen immer in einer gewissen Weise ein. Dies gilt für Schönheitsideale genau so wie für sexuelle Darstellungen. Ob diese medialen Informationen die persönliche Lebensgestaltung sehr stark oder nur wenig beeinflussen,

„Begeisterung für die körperlichen Entwicklungen in der Pubertät wären ein guter Motivator, um ein positives Selbstbild zu entwickeln.“

Bettina Weidinger

 

Ganz ähnlich ist es beim Bilderverschicken. Sobald Kinder ein Smartphone haben oder sich am Tablet im Internet bewegen, braucht es wiederholende Erklärungen im Umgang damit. Und dabei geht es nicht darum, dass Nacktfotos verschicken „unanständig“ ist, denn Nacktheit ist nichts, wofür man sich schämen muss. Es geht darum, dass es nicht üblich ist. Kinder brauchen in diesem Fall Anleitung, Erklärung und Begleitung, um neue Kommunikationswege gut und sicher nutzen zu können. Drohgebärden und Strafen sind fehl am Platz – sie verhindern letztendlich, ein Verständnis dafür zu entwickeln, worum es geht, und können sogar dazu führen, dass das Überschreiten dieser Regeln als positive Rebellion gefeiert wird. Grundsätzlich ist es menschlich zu glauben, dass die Person, in die man sich gerade verliebt hat, mit Sicherheit korrekt mit dem eben verschickten Nacktfoto umgehen wird. Dass sich diese Korrektheit möglicherweise fünf Monate später nach einer Trennung in einen Racheplan verwandelt, ist schwer abzuschätzen. Regeln erklären ist also das eine, das Besprechen von Sehnsucht, Bindung und Vertrauen darf aber keinesfalls fehlen.