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JUNI 2017

An der Nadel

Im Sommer kommen sie fast alle zum Vorschein: Tätowierungen. Statistiken zufolge hat jeder fünfte Österreicher eine Körperverzierung. Die Tiroler gelten dabei als besonders tätowierfreudig. 6020 hat sich in zwei der bekanntesten Innsbrucker Studios umgesehen.

Foto: Franz Oss
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as Geschäft mit der stechenden Nadel brummt. In Tirol gibt es derzeit 56 Tätowierer, die den Gewerbeschein besitzen – eigentlich gar nicht so viele angesichts des Massentrends, wie auch der Innsbrucker Tätowierer Manuel Woodpecker bestätigt: „Den Studios in Innsbruck geht es sehr gut, die machen alle ein gutes Geschäft.“ Innsbrucks Tattoo-Pionierin heißt Daniela Rajnoch. Die 47-Jährige war Tirols erste Tätowiererin und hat 1992, nach Lehrjahren bei ihrem damaligen Ehemann in den USA, mit „Reaktiv Tattoo“ das erste Tattoo-Studio Westösterreichs eröffnet. Seit einigen Jahren befindet sich das Studio in der Mentlgasse 7. 

„In den Anfangsjahren war fast jede Tätowierung in Innsbruck von mir.“

An der Nadel

Daniela Rajnoch 

An der Nadel

BEI DER ARBEIT. Aus Liebe zu Tirol lässt sich Bruce Gilmore, der in Leutasch ein Hotel führt, von Daniela eine Landschaft mit Wald, Bergen und Edelweifl tätowieren.

„Als ich in den frühen 1990ern nach Tirol zurückgekehrt bin, habe ich bei Null angefangen.“

Daniela Rajnoch

 

 

6020:

Welche Tattoo-Trends gibt es 2017? Daniela Rajnoch: Besonders oft steche ich derzeit Mandalas, Schriften, chinesische und arabische Kalligraphie, realistische Tätowierungen und Aquarelltattoos.

 

Kannst du dich an deine ersten Tätowierungen, die du in Innsbruck gestochen hast, erinnern? Das waren Planeten, Rosen, Delfine oder auch Skorpione. Die Vorgaben der Kunden damals: „Bitte so klein wie möglich!“ Das hat sich inzwischen völlig geändert. Die Motive werden immer größer.  

 

Du hast zunächst den Friseurberuf erlernt, wie bist du Tirols Tätowier-Pionierin geworden? Ich habe einige Jahre in Chicago gelebt, mein damaliger Mann hat dort zwei Tattoo-Studios betrieben. Da ich immer schon gern gezeichnet habe, habe ich ihm bei den Vorlagen geholfen. In Amerika hat es in den 1980ern und 1990ern schon in nahezu jedem Ort ein Tattoo-Studio gegeben und die Amerikaner sind uns in puncto Tätowierungen nach wie vor einige Jahre voraus. Als ich nach vier Jahren in den frühen 1990ern nach Tirol zurückgekehrt bin, habe ich bei Null angefangen. Meine Arbeitsmaterialien fürs Tätowieren, die Maschinen, Farben etc., hat es damals nur in Amerika gegeben, das musste ich alles erst nach Tirol bringen.

In den Anfangsjahren war noch wirklich fast jede Tätowierung in Innsbruck von mir. Im Schwimmbad hab’ ich mir dann immer meine Arbeiten anschauen können, das war lustig. 

 

Die Steißbeintattoos, die sogenannten „Arschgeweihe“, werden oft als die größte Jugendsünde der 1990er bezeichnet. Fühlst du dich schuldig? Nein (lacht) Ich habe aber tatsächlich unzählige „Arschgeweihe“ tätowiert. Und obwohl es wirklich viele waren, habe ich diese Tätowierungen immer sehr gern gemacht! Ich selber habe kein „Arschgeweih“. Ich finde, zu mir passt das nicht wirklich.  

 

Die Tiroler gelten als besonders tätowierfreudig, woran liegt das? Bei den Urvölkern ist Körperschmuck seit jeher sehr beliebt und wir Tiroler sind halt doch irgendwie immer noch ein raues Bergvolk. (lacht) Mich freut es, dass die Tiroler in puncto Tätowierungen auch sehr offen, individuell und experimentierfreudig sind. Ohne angeben zu wollen: Das liegt zu einem kleinen Teil schon auch an meiner Pionierarbeit. 

 

Was war deine ungewöhnlichste Tätowierung? Das kann ich so gar nicht sagen. Ein sicherlich ungewöhnlicher Stammkunde von mir ist ein circa 55-jähriger Mann, dem ich über die Jahre bereits 800 Namen von „Schindlers Liste“ tätowiert habe. Einen besonderen Hintergrund für diese Tätowierung gibt es meines Wissens nach nicht. Der sehr seriös wirkende Herr mag einfach gern individuelle Tätowierungen und hat beinahe schon den ganzen Körper tätowiert. 

M

anuel Woodpecker betreibt in der Andreas-Hofer-Straße 20 das Studio „Woodpecker Tattoo & Piercing“. Begonnen hat seine Karriere mit zahlreichen Kursen in Berlin. Kurz darauf hat Manuel bei internationalen Tätowierwettbewerben einige Preise eingeheimst. Über sein Alter oder seinen früheren Beruf möchte er nicht reden, außerdem hat er bisher großen Wert darauf gelegt, dass es in der Öffentlichkeit keine Fotos von ihm gibt. Für 6020 hat er eine Ausnahme gemacht.

„Wir haben ein anderes Konzept als die meisten Studios, bei uns sind so gut wie immer Gast-Tätowierer da.“

Manuel Woodpecker
ARTISTS IN RESIDENCE. Das Besondere an Manuel Woodpeckers Studio: die regelmäßigen Gast-Tätowierer.
6020:

Welche Tattoo­trends gibt es 2017? Manuel Woodpecker: Dazu kann ich nichts sagen, von Trends kann man in unserem Studio nicht sprechen. Wir haben ein anderes Konzept als die meisten Studios, bei uns sind so gut wie immer Gast-Tätowierer da. Diese Tätowierer aus neun, zehn Ländern sind alle auf bestimmte Tattoos spezialisiert, auf Schriften zum Beispiel oder Dotwork, das sind Motive mit vielen Punkten. Ich bin auf Comics und Tiere spezialisiert.

 

Welche Gasttätowierer habt ihr jetzt gerade da? Es ist gerade ein Tätowierer aus Athen da, der auf Schriften spezialisiert ist, und ein Tätowierer aus Amsterdam, der auf Dotwork spezialisiert ist. Aber das ändert sich monatlich, oft sogar wöchentlich.

Wie lange unsere Gast-Tätowierer da sind und wie oft sie kommen, ist auch sehr unterschiedlich.

 

Wie schaffst du es, so viele Tätowierer ins relativ kleine Innsbruck zu holen? Zum einen bin ich seit vielen Jahren in der Tätowierszene gut vernetzt. Zum anderen wird in Tirol so viel tätowiert wie kaum wo. Die Tiroler sind in puncto Tätowierungen auch sehr offen, das ist fast einzigartig. In der Schweiz zum Beispiel gibt es eindeutig zu viele Tätowierer, in Innsbruck hingegen gibt es mehr als genug Kunden und jedem Tattoostudio geht es super.  

 

Was für Typen sind deine Gast-Tätowierer? Die meisten unserer Gast-Tätowierer sind sehr jung, zwischen 20 und 25 Jahre. Sie sind große zeichnerische Talente, echte Künstler. Ich bin generell der Meinung, Tätowierungen sind die Kunstwerke von heute. So wie man sich früher einen bekannten Maler an die Wand gehängt hat, so lässt man sich heute von einem bekannten Tätowierer ein Bild unter die Haut stechen. Vom Handwerk zur Kunst! Die Szene der bekanntesten Tätowierer der Welt ist inzwischen so etwas wie eine Rockstarszene.

„Tätowierungen sind die Kunstwerke von heute.“