Wir empfehlen
JÄNNER 2020

Ist Rot tot?

Von Digitalisierung und Globalisierung bis zu Nachhaltigkeit und Klimawandel stolpert die Sozialdemokratie durch alle Megatrends. Sie übersieht dabei die naheliegenden Möglichkeiten ihrer Genesung.

J

ulia Herr (27) und Max Lercher (33) sind Vorzeigetypen für eine mögliche Zukunft der SPÖ. Kevin Kühnert (30) zeigt als Königsmacher bereits die Macht der Jungen in der SPD. Doch da wie dort liegt die Sozialdemokratie am Boden. Und letztlich sind die Burgenländerin und der Steirer wie der Berliner zu weit weg, um hierzulande klar zu machen, woran Rot wirklich krankt. Nämlich daran, dass es zu weit weg ist – in Wien und Berlin. Von den Leuten, von den Problemen, vom Land. Um das zu erklären, taugt besser einer von uns. Ein Westösterreicher aus keiner großen Gemeinde. Einer mit Verständnis für die Verbindung von Stadt und Land. Ein Studierter mit Bodenhaftung. Einer, der weit weg ist vom hauptstädtischen Politikbetrieb, den sie dort aber trotzdem hören und respektieren.

// 

Nein, das ist nicht der Politikwissenschaftler Georg Dornauer (36) mit dem fatalen Hang, erst zu reden und dann zu denken, sobald nur Mikrofon und Kamera auf ihn gerichtet sind. Deutlich klüger als der Bürgermeister von Sellrain macht das sein Jahrgangskollege, der im doppelt so viele Einwohner zählenden Neukirchen an der Vöckla in Oberösterreich wohnt und nebenbei als Universitätsprofessor in Salzburg lehrt. Dorther stammt Martin Grubinger (36), ein Weltstar der Musik mit Hang zur Politik, der darüber jede Woche für die regionale Krone schreibt. Doch noch besser hat der Schlagzeuger sein Leid mit der Sozialdemokratie dem Wiener Falter geklagt, dem Leibblatt der urbanen Linken.

Ohne Jenbach gibt es kein Washington.

Grubingers Authentizität ist eine andere: „Ich bin Traditionalist, Patriot und Landei. Ich liebe die Volksmusik.“ Er vermisst den Respekt im Stadt-Land-Gefälle und das Verständnis für „die Menschen“ da draußen: „Es gibt kein schnelles Internet, keine gescheite Busverbindung. Der ländliche Raum ist ein zutiefst sozialdemokratisches Thema. Die Leute am Land fühlen sich wie Bürger zweiter Klasse.“ Genau sie vernachlässige die SPÖ. Den Weltreisenden in Sachen Konzerte ärgert die Herablassung der Großstädter: „Ich fahre mit dem Auto von Neukirchen nach Attnang und von dort mit dem Zug nach Schwechat, um nach Brisbane zu fliegen. Ohne Attnang kein Brisbane, verstehen Sie?“

// 

Nach Tirol übersetzt, hieße das für den Ziller­taler: Ohne Jenbach kein Washington. Aber hier kommt ein Negativ-Effekt hinzu, den Grubinger im Pendeln zwischen Oberösterreich und Salzburg etwas weniger spürt als die wahren West-, aber auch Südösterreicher: Die übermäßige Wien-Konzentration der SPÖ ist nicht nur ein inneres Problem der Sozialdemokratie. Sie verliert ihren staatstragenden Anspruch, wenn der Horizont der Zentrale am Mondsee endet. Dadurch droht Österreich der Verlust einer wirklich bundespolitischen Sichtweise, ohne dass eine andere sie schon ersetzt hätte. Die Grünen sind für eine solche Ablöse in den Gemeinden noch nicht stark genug. Insgesamt verschärft sich durch diese Entwicklung die Kluft zwischen Stadt und Land sowie Wien und dem Rest der Republik.

Wiener Ignoranz und Abkehr der Regionen.

Daneben sorgen regional ähnliche Koalitionsbildungen in den Ländern für Zentrifugalkräfte, deren Zusammenspiel auf europäischer Ebene auch eine Strategie gegen zu starke nationale Bevormundung ist. Die unterschätzte Westachse der schwarzgrünen Koalitionen von Vorarlberg bis Salzburg (dort plus Pink) schafft solche Tatsachen mit einem künftig gemeinsamen Auftritt in Brüssel. Es entsteht aus dem bisherigen Büro der ohnehin schon grenzübergreifenden Europaregion Tirol–Südtirol–Trentino.

Die SPÖ benötigt neben inhaltlicher Erneuerung eine Rückbesinnung auf das Ö in ihrem Namen.

Nicht ganz so weit sind die Steiermark und Kärnten, wo die „rote Südachse“ deklariert wurde, als die Sozialdemokratie noch stärkste Kraft im Landtag zu Graz war. Dass auch mit einer gewechselten Führungsrolle die von VP/SP bzw. SP/VP geführten Länder gut miteinander können, zeigen Beispiele wie der Technologie-Cluster Silicon Alps. Private Public Partnership funktioniert auf der guten alten sozialpartnerschaftlichen Grundlage von Wirtschaft und Politik. Zudem knüpfen Kärnten und die Steiermark trotz auch negativer Erfahrungen – Stichwort Hypo Alpe Adria – engere Netzwerke mit den Nachbarn Italien und Slowenien sowie darüber hinaus in den Süden. Die durch den Koralmtunnel bald weiter vervollständigte baltisch-adriatische Achse ist auch ein Anknüpfungspunkt zum Balkan.

// 

Weil der Großraum Wien die höchste Einwohnerzahl und das größte Bevölkerungswachstum hat, wird in der Bundeshauptstadt im Allgemeinen und von der SPÖ im Besonderen das Eigenleben und die wachsende wirtschaftliche Stärke vor allem der westlichen und südlichen vermeintlichen Provinz unterschätzt. Ihre regionale Internationalisierung ist auch eine Reaktion auf die Ignoranz der Metropole, wo Föderalismus als politisches Orchideenfach belächelt wird. Dass Oberösterreich nicht (mehr) in Zusammenhang mit der Westachse genannt wird, hat mit der Größe des Landes zu tun, das wie Niederösterreich weniger Partner braucht. Zudem erschwert der schwarze Schwenk vom grünen zum blauen Juniorpartner solche Kooperationen, wie auch der rote Flirt mit der FPÖ im Burgenland.

Von Volksmusik über Kirchtag bis Feuerwehr.

Ungeachtet ihrer Schwächen im urbanen Raum übt die ÖVP als einzige Partei noch flächendeckend den Spagat zwischen Stadt und Land. Die FPÖ war ihr dabei durchaus schon auf den Fersen, bevor ihr Balearen-Tief sie – zack-zack-zack – vorerst aus diesem Wettbewerb geworfen hat.  Die Volkspartei ist auch in der europäischen Regionalisierung viel präsenter als die Sozialdemokratie. Ausnahmen wie Kärnten bestätigen bloß diese Regel. Dort nimmt die SPÖ aber exakt jene Rolle ein, die die ÖVP in den von ihr dominierten Bundesländern erfüllt. Von der Volksmusik über den Kirchtag bis zur Feuerwehr.

// 

Unterdessen etablieren sich im Kielwasser der schwarzen Landeshauptleute Platter, Wallner und Haslauer die Grünen vom Westen aus als bundespolitischer Faktor mit föderalistischem Ansatz. Ihre Koalitionsverhandlungen beruhten sicher nicht auf einer vornehmlichen Wiener Absicht. Um dazu wieder ein bundespolitisches Gegengewicht zu werden, benötigt die SPÖ neben inhaltlicher Erneuerung eine Rückbesinnung auf das Ö in ihrem Namen. Das beendet zwar nicht die Existenzkrise, aber es macht sie weniger angreifbar für alles, was da an Bewegung statt Partei entgegentritt – von Stronach bis Kurz. Grubinger liefert dafür bessere Hinweise als viele Funktionäre. Auch das ist ein rotes Krisensymptom.