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DEZEMBER 2018

Menschenhass am Glühweinstand

Es weihnachtet in den Straßen unserer Stadt. Eine Wolke aus Glühwein und Bratfett hat sich über Innsbruck gelegt. Einige unter den Besuchern dieser Glitzerbuden machen es uns allerdings nicht leicht, in Glückseligkeit zu schwelgen.

Datende Traumpaare

Wunderbare Lichter, Schnee, tolles Essen, Liebe – das sind vier großartige Ingredienzien für ein gelungenes winterliches Rendezvous und zugleich vier Dinge, nach denen man suchen muss – jedoch mit Sicherheit nicht in der Innenstadt: Die Winterbeleuchtung am Landhausplatz mutet vielen phallisch (mit testiklischen Sternen) an, Schnee ist tot (weil Welt kaputt), essen kann man so manches nur mit Gallen aus Stahl und Kreditkarten und die (Nächsten-)Liebe muss sich irgendwann zwischen Bettel- und Nächtigungsverbotsdebatten an der Weihnachtstanne vor dem Goldenen Dachl erhängt haben.

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Jenseits des Flusses, in St. Nikolaus, sieht es anders aus. Wegen der wenigen Stände gehen manche Paare gleich zum Glühweintrinken über und testen ihre Vibes auf Herz und Leber. Die selbsterklärte High Society trifft man in einer Kabine der Hungerburgbahn auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt in Beverly Hills. Egal wo man letztlich landet, man findet sie überall: diese Süßen, die sich irgendwo Pärchenhandschuhe, einen Poncho für zwei oder miteinander verknüpfte Zipfelmützen kaufen. Das Pseudo-Kunstsammler-Pärchen, das nach langem Überlegen zwölf Engel aus Wolle und eine Krippenfigur ersteht; das wohlsituierte alternative Pärchen, das sich mit Räucherstäbchen zum „Liebemachen“, wie sie es nennen, eindeckt und dabei wiederum Cat Stevens hört. Ihr kennt sie alle.

 

Diese Süßen, die sich irgendwo Pärchenhand-schuhe, einen Poncho für zwei oder miteinander verknüpfte Zipfelmützen kaufen. 

Sie garantieren, dass man sich nicht schneller als zehn Zentimeter pro Sekunde durch die Gassen bewegen kann.

 

Touristen 

Hand in Hand, zu viert, zu fünft, und immer im Reißverschlussprinzip verknotet, sind Gruppen von Touristen die lebenden Temporegler in der Altstadt, die garantieren, dass man sich nicht schneller als zehn Zentimeter pro Sekunde durch die Gassen bewegen kann. Das alles hat jedoch einen größeren Sinn. Durch ein bilaterales Abkommen zwischen Österreich und Italien versucht man, je nach Saison Massen von Menschen abwechselnd in kleine Städte rund um den Gardasee und die Innsbrucker Innenstadt zu locken. Damit soll den Tirolern ein modisch treffsicherer Kleidungsstil vorgelebt und das Fahrradverbot für Amateurradler in den Prunkstraßen durch menschliche Straßensperren umgesetzt werden. (Über den Sinn der Tiroler in Italien ist man sich noch nicht im Klaren, eine Langzeitstudie folgt.) 

// Die Touristen erkennt man meist an der konsequenten Route durch die Altstadt bis zur Maria--Theresien-Straße und über die Rathausgalerien zum Marktplatz. Mit der Planung dieser Route hat man Gerüchten zufolge Rick Grimes, den Hauptcharakter der Serie „The Walking Dead“, engagiert. Der Amerikaner kennt sich durch seine Zeit in der Zombie-Apokalypse vor allem mit dem Führen Untoter durch verlassene Landstriche aus. „Die Touristen dieser Stadt sind einer Sprache mächtig, die viele Einheimische nicht verstehen. Anstatt auf frisches Menschenfleisch stürzen sie sich auf Kiachl, die sie an Buden für über vier Euro pro Stück erwerben. Insgesamt macht das keinen großen Unterschied“, erzählt er 6020 in einem Exklusivinterview.

„Warum habe ich nach 18 Semestern noch keinen Bachelor?“, fragen sie sich und stolpern hoffnungslos betrunken herum.

 

Besucher mit schlagerbedingter Lebenskrise 

Schon ab Oktober knallt man sich bei uns erhitzten Billigwein mit extra Zucker in die Innereien und dazu Après-Ski-Schlager auf die Ohren. Weil zukünftige Hörer dieses Genres schon früh daran gewöhnt werden sollen, sind es vor allem die Studis, die es unter die Wärmeschwammerln zieht. „Irgendwann is’ olles anders word’n. Irgendwie san ma ölter word’n“, dröhnt es aus den Boxen. Es sind die Worte des Poeta laureatus aller unterdrückten weißen Heterosexuellen, des Bachmannpreisträgers Andreas Gabalier, der das Gletschereis auf den Herzen der Menschen durchstößt mit lorbeerumrankten Eispickeln, ganz zart.

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Die Studierenden sind von den Worten sofort berührt. Bedrückt schauen sie auf den Grund des vierten leeren Bechers und fragen sich, ob sich dieses Loch im Herzen noch füllen lässt. Frustriert und ohne Gruß verabschieden sie sich. Sie ziehen durch die Weihnachtsmarktstände der Altstadt und schauen sich weniger die feilgebotenen Waren, sondern die Gesichter der Verkäufer an. „Warum habe ich nach 18 Semestern noch keinen Bachelor? Warum ist meine einzige Verbindung zu einem Master die Flasche Jägermeister, die in meinem Kühlschrank steht?“, fragen sie sich und stolpern hoffnungslos betrunken herum.

Die wahren Opfer: Anrainer 

Immer am frühen Abend kann man die Menschen am Weihnachtsmarkt beobachten, die das Privileg haben, in einem Gebäude im Zentrum zu wohnen. Genervt lassen sie sich im Fluss der Besucher zu ihren Häusern treiben, an deren Kanten sie sich festhalten müssen, um nicht davongetragen zu werden. Wenn sie ihre Tür öffnen, fallen meist drei bis vier Menschen mit hinein in den Hausgang. Einige der Anrainer schaffen es in den Wintermonaten gar nicht mehr nach Hause, sondern verheddern sich in der sie mitreißenden Menge, bis sie schließlich an einem Anti-Terror-Quader am Rand der Altstadt hängenbleiben, die Polizei sie wegen unerlaubter Nächtigung abholt und irgendwo im O-Dorf aussetzt.

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Die Anrainer, die man auf den Weihnachtsmärkten trifft, wirken gestresst und paranoid. Ihre Kleidung riecht nach Alkohol und Fett, weil sie oft von Mobs mit Bratwürsten und Glühwein in den Händen einfach überrannt werden. In ihren Haaren hängt Christbaumschmuck, der dem nicht konsumierenden Publikum wie Ninja-Sterne nachgeworfen wird. Sie leben im Disneyland, aber Disneyland ist böse, Leute!

 

Ihre Kleidung riecht nach Alkohol und Fett, weil sie oft von Mobs mit Bratwürsten und Glühwein einfach überrannt werden.