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DEZEMBER 2018

Die Lawine als Forschungsobjekt

6020 hat zum Start der Wintersaison mit dem Innsbrucker Lawinenforscher Jan-Thomas Fischer über neue Erkenntnisse und spannende Fakten gesprochen.

Fotos: Franz Oss, Shutterstock.com, BFW/Fischer (2), Lawinenwarndienst Tirol,Daniel Hug/Terragraphy

Der Fachmann

Im Gelände. Jan-Thomas Fischer ist Physiker und Lawinenforscher.

 

Jan-Thomas Fischer ist Physiker und leitet die Abteilung Schnee und Lawine des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW). Er beschäftigt sich mit angewandter Wissenschaft für Lawinendynamik und untersucht unter anderem durch Experimente und Computersimulationen, ob bestimmte Orte lawinengefährdet sind oder nicht.

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Gemeinsam mit seinem Kollegen Christoph Mitterer vom Tiroler Lawinenwarndienst hält er außerdem Vorträge mit sehr amüsant verpackten wissenschaftlichen Aspekten aus seinem Fachgebiet. Der nächste Termin ist im Jänner geplant (Infos unter www.oegsl.at). Ihre umfangreichen Kompetenzen haben die beiden Wissenschaftler in dem kürzlich gegründeten Verein ÖGSL (Österreichische Gesellschaft für Schnee und Lawinen) gebündelt. Diese soll den interdisziplinären Wissens­austausch fördern und Praktiker, Fachleute und Institutionen zusammenbringen.

4 Fragen an den Fachmann:

1.

Wie verhalten sich Lawinen? „Unterschiedlich, da sie verschiedene Formen annehmen können. Eine sogenannte Nassschneelawine, die zum Beispiel typisch für Frühlingssituationen auf der Nordkette ist, gehört zu den Fließlawinen, die sich eher langsamer bewegen und somit maximale Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h erreichen. Dafür sind sie sehr dicht, da sich während der Lawinenbewegung ‚Schneebälle‘ formen und sich das Material komprimiert. Im Vergleich dazu erinnert eine Staublawine aus einem Wind-Schneepartikelgemisch ein bisschen an einen Schneesturm. Der aber sehr schnell werden kann, nämlich bis zu 300 km/h. Außerdem verändert sich der Schnee in der Lawine mit der Schneetemperatur, was wiederum die Art der Lawinen beeinflusst. Beim Fließen entsteht durch die Reibung Wärme, und man weiß aus Experimenten, dass sich über ca. –1° C besagte ‚Schneebälle‘ bilden.“ 

2.

Wie stellt ihr das fest? „Wir können die Lawinengeschwindigkeit mit einem Blick in die Lawine, beispielsweise per Radar, messen oder direkt, indem wir Sensoren mit der Lawine mitschicken. So ermitteln wir Daten über die jeweilige Bewegung oder wie und wovon sich eine Lawine ernährt, also welche Schneemassen beim Abgehen und auf dem Weg ins Tal mitgenommen werden. Es helfen aber auch Experimente im Labor: Wie wir zum Beispiel kürzlich mit den Kollegen Ingrid Reiweger und Roland Kaitna an der BOKU in Wien zeigen konnten, kann auch sehr kalte Luft fließenden Schnee kühlen und so dafür sorgen, dass gar keine ‚Schneebälle‘ in einer Laborlawine entstehen.“ 

3.

Was haben Frühstückszerealien mit Lawinen zu tun? „Anhand einer Müslischale kann gezeigt werden, wie sich Teile, die sich in Form, Größe oder Dichte unterscheiden, durch Bewegung separieren, das heißt dass sich kleinere Teile unten absetzen, während die größeren nach oben steigen – diesen Effekt nennt man inverse Segregation. Bei einer Lawine ist das ähnlich: Wenn eine Person verschüttet wird, kann ein Airbag durch sein Zusatzvolumen helfen, eher an der Oberfläche zu bleiben, vorausgesetzt er wurde an der richtigen Stelle verwendet und es gibt keine Geländefallen – aber die Effektivität und Verwendung von Airbags ist ein anderes Thema. 

4.

Was fasziniert dich an deiner Arbeit am meisten?Schnee, Berge und die Orte und Menschen, zu denen dich das Ganze bringt.“

Die Lawine als Forschungsobjekt

AM BERG. Das BFW forscht unter anderem direkt auf der Nordkette.

Die Lawine als Forschungsobjekt

Neu und sehr spannend

Einer der größten Coups, der im Rahmen der ISSW vorgestellt wurde und am 19. November offiziell online ging, ist das Projekt „Albina“ mit dem ersten grenzüberschreitenden und mehrsprachigen Lawinenwarnbericht der Welt. Auf der Website sind die relevantesten Infos aus Tirol, Südtirol und dem Trentino zum Thema verfügbar: www.lawinen.report

Die größte Fachkonferenz der Welt 

Der ISSW (International Snow Science Workshop) ist der weltweit größte Fachkongress zum Thema Lawinen und Schnee und findet seit 1982 alle zwei Jahre statt. Organisiert wurde er heuer vom Bundesforschungszentrum für Wald (BFW), dem Lawinenwarndienst in Tirol und der Wildbach, und Lawinenverbauung. Die Stadt Innsbruck durfte zum ersten Mal Gastgeberin sein – der Kongress fand bislang überhaupt erst zwei Mal in Europa und noch nie in Österreich statt. So wurden zwischen dem 7. und 12. Oktober 425 Beiträge aus 27 Ländern vorgestellt, die um die Themenblöcke Schnee- und Lawinendynamik, Risikomanagement, Schutzmaßnahmen, Klimawandel, Schneemanagement, Schneedeckenstabilität, Lawinenvorhersage bis hin zum Faktor Mensch, Verhalten im Gelände, Ausbildung und Rettung kreisten. Jan-Thomas Fischer war unter anderem an der Organisation des Kongress­programms beteiligt.

 

Lawinenkurse und Camps

Das richtige Verhalten im Gelände lernt man am besten in Theorie und Praxis. Hier die wichtigsten Ansprechpartner:

 

 

• SAAC snow and alpine awareness camp – Bietet zweitägige Grundkurse und Lawinencamps mit Bergführern und Snowboardpros, und zwar kostenlos und österreichweit. Ihr Angebot ist sehr begehrt, aktuell ist keine Anmeldung für die Grundkurse möglich. Die Fortbildungen im Rahmen von Saacnd Step Camps sind kostenpflichtig, dreieinhalbtägige Aufbaukurse gibt’s um 315 Euro. Weitere Angebote unter: www.saac.at

 

• Ein ähnliches Programm wird zudem von SnowHow angeboten: www.snowhow.info

 

• Auch die Sportuni USI hat Skitourenkurse mit Schnee- und Lawinenkunde im Angebot. Diese sind kostenpflichtig (ab 88 Euro) und für das aktuelle Wintersemester so gut wie ausgebucht. 

 

• Kompetente Alternativen für Lawinenkurse und Gruppentouren sind beim Alpenverein (ab 90 Euro) und den Naturfreunden Tirol (ab 70 Euro) zu finden sowie bei ausgebildeten Bergführerinnen und Bergführern. 

 

• Auch ein interessanter Anbieter mit mehrtägigen Kurspaketen ab 210 Euro: www.flatsucks.at