eit Anfang des Jahres sind die Urheberrechte an Adolf Hitlers Werk „Mein Kampf“ frei. In der Theorie heißt das, dass nun jeder Verlag das Buch auf den Markt bringen kann. Das deutsche Institut für Zeitgeschichte (IfZ) hat gezielt zu diesem Zeitpunkt eine wissenschaftlich kommentierte Gesamtausgabe herausgebracht, die sehr kritisch mit Hitlers Hassschrift umgeht und deren „Entmystifizierung“ als Ziel sieht. Mit der Buchgestaltung wurde der Typograf Rudolf Paulus Gorbach beauftragt, der am 7. April nach Innsbruck kommt.
INFO
Am 7. April um 19 Uhr spricht Rudolf Paulus Gorbach in seinem Vortrag über die gestalterischen und inhaltlichen Herausforderungen beim Buchprojekt „Mein Kampf: Eine kritische Edition“ im WEI SRAUMforum (Andreas-Hofer-Straße 27). Details: www.weissraum.at
Herr Gorbach, Sie haben die Gestaltung für das Buch „Mein Kampf: Eine kritische Edition“ entworfen. Wie sind Sie zu diesem Auftrag gekommen? Rudolf Paulus Gorbach: Ich wurde dem Institut für Zeitgeschichte von mehreren Historikern empfohlen. Man suchte jemanden, der eine außergewöhnliche Typografie für dieses Projekt entwirft.
Wie haben Sie auf die Thematik des Buchprojekts reagiert? Relativ gelassen. Ich wurde zuvor gefragt, ob ich so etwas überhaupt machen würde. Zeitgleich lernte ich einen Teil der Herausgeber kennen, und ihre Art, das Projekt vorzustellen, fand ich so spannend und so qualitätsbewusst, dass mein Interesse sofort da war.
Mehr das Interesse an der Zusammenarbeit mit dem Institut oder an dem Thema? Ehrlich gesagt war das Interesse mit den Herausgebern zu arbeiten sehr stark. Das Thema natürlich auch. Es ist ein sehr prominentes Thema, und ein sehr wichtiges. Vor allem der kritische Umgang damit hat mich fasziniert. Zudem hatte ich schon länger den Wunsch, ein ganz kompliziertes typografisches Projekt zu machen. So kam auch das handwerklich gestalterische Interesse hinzu.
Das Buch ist ziemlich umstritten. Hatten Sie moralische Bedenken bei dem Projekt? Das war mir natürlich bewusst. Allerdings war mir nach dem ersten Gespräch ganz klar, dass dieses Institut es richtigmachen wird.
War Ihre Herangehensweise bei diesem Buchauftrag anders als bei sonstigen Projekten? Ganz anders. Das Buch hat eine politische Dimension, die ist ungeheuer. Diese richtigzustellen und daran beteiligt zu sein, erweckte in mir großen Respekt vor dem Projekt.
Während des Arbeitsprozesses haben Sie immer wieder Hitlers Passagen gelesen und wurden mit seinen Worten konfrontiert. Welche Emotionen begleiten einen dabei? Ja, man liest es immer wieder. Da hat mich sehr stark die Gelassenheit der Forscher beeindruckt. Aber oft, vor allem in der heißen Phase, ging es einem doch sehr nahe. Nicht nur mir persönlich, sondern auch meiner Tochter, mit der ich an dem Projekt zusammengearbeitet habe. Wir haben viel über die Inhalte diskutiert.
Was musste bei der Typografie und Gestaltung berücksichtigt werden? Es war von vornherein klar, dass es sehr zurückhaltend und sachlich sein sollte. Innen wie außen. Auf keinen Fall ein Hitler-Denkmal. Deshalb haben wir keine Elemente aus dem Corporate Design der NS-Zeit verwendet. Wir haben stets einen großen Abstand zu dem damaligen Erscheinungsbild gehalten. Und Neutralität bewahrt.
Führen Sie uns bitte in die Gestaltung des Buches ein. Bei der Buchgestaltung gibt es mehrere Hauptrichtungen, über die man entscheiden muss. Da ist zunächst die Struktur der Texte zueinander. Wir hatten mehrere Textebenen: die Originalfassung, die verschiedenen Auflagen und eine Vielzahl wissenschaftlicher Kommentare der Herausgeber.
Das fand ich persönlich besonders spannend. Des Weiteren die Wahl der Textschrift und natürlich, wie groß man das Buch macht. Das Vierte ist, wie erscheint das Buch nach außen.
Welche waren die größten Herausforderungen? Die erste Herausforderung war, die Schrift zu wählen. Zuerst dachten wir, es muss eine Schrift aus der Zeit sein, was natürlich überhaupt nicht ging. Es sollte auf keinen Fall die Originalschrift sein – die schon gar nicht! Als Zitat wäre es durchaus spannend, aber es lag zu nahe an dem ganzen Bewusstsein und der NS-Zeit. Die zweite Herausforderung war die Größe: Wir hatten zunächst an ein viel größeres Format gedacht, um dem Leser Raum zu geben. Ein bedrückendes Thema braucht Platz und darf auf keinen Fall zu eng werden. Da mussten wir allerdings ziemlich runtergehen, als das Institut eingeworfen hat, dass es in der Größe zu denkmalartig wird und zu schwer.
Viel Platz geben und dabei nicht zu groß werden steht irgendwo im Gegensatz zueinander … Richtig. Deshalb mussten wir einen Kompromiss finden, der letztendlich gut gelungen ist. Am Ende sind wir von 8,4 Kilo auf 5,2 Kilo Gewicht gekommen.
Wie haben Sie das Problem der verschiedenen Ebenen gelöst? Mit Platz, unterschiedlichen Größen und unterschiedlichen Schriftschnitten.
„Es sollte sehr zurückhaltend und sachlich sein. innen wie aussen.“
Rudolf Paulus Gorbach
Insgesamt gibt es im Buch 3.700 wissenschaftliche Kommentare zu Hitlers Originaltext. Wie geht man gestalterisch damit um? Die Kommentare sind kleine „Essays“. Es sind Abhandlungen, die etwas widerlegen. Sie sollten nicht als Fußnoten versteckt, sondern gut lesbar sein. Sie sind nummeriert und so angeordnet, dass sie den Hitler-Text „umzingeln“. Da wir unterschiedliche Mengen und Längen an Kommentaren hatten, konnten wir nicht jede Seite gleich gestalten. Somit wurde Doppelseite für Doppelseite händisch gestaltet. Im Grunde liegt die gestalterische Leistung, außer auf dem Grundkonzept, auch auf dem Umgang mit den Kommentaren.
Es gibt im Buch viel Weißraum. Generell ein wichtiger Aspekt in der Gestaltung. Welche Rolle spielt er hierbei? Für mich eine wesentliche. Oft wird vergessen, dass der Weißraum für eine Hervorhebung teils wichtiger ist als die Größe der Schrift. Im Buch gibt es dem Leser Raum und trägt eine gewisse Ruhe in sich. Das Thema und auch die Widerlegungen, das ist alles so schrecklich. Der Leser braucht Ruhe dabei.
Die Herausgeber haben betont, dass Hitlers Texte auf Augenhöhe betrachtet wurden. Was genau ist damit gemeint? Es ist die editorische Art und Weise, an das Thema heranzugehen. Auf Augenhöhe bedeutet, dass man die Situation weder ausschließlich mit Abscheu noch mit Faszination betrachtet, sondern ganz sachlich an das Thema herangeht.
Welchen Einfluss hatte es speziell auf Ihren Part? Eigentlich von vornherein auf die gesamte Denkweise beim Projekt. Deswegen entstand auch der von Christian Hartmann geprägte Begriff „Hitler umzingeln“.
Wie sehen Sie das Buch in Anbetracht der aktuellen politischen Lage in Deutschland und Europa? Man konnte vorher noch gar nicht wissen, wie wichtig es sein wird. Es gibt im Buch sehr viele Positionen, die ich schrecklich finde. Nun frage ich mich, ob es heute Leute gibt, die das wiederholen wollen? Nicht insgesamt, aber es gibt im Moment viele Details der Fremdenfeindlichkeit, die ich schrecklich finde.
Vielen Dank für das Gespräch.