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APRIL 2015

Garten zu vermieten

Wo der Balkongarten an seine Grenzen stößt, setzt das neue Tiroler
Gemeinschaftsgartenprojekt an. In Neu-Rum sind bereits erste Gemüsebeete am Entstehen. Pünktlich zum Saisonsauftakt hat sich 6020 aufs Feld begeben.

Fotos: Dominique Huter
N

och ist nichts zu sehen oder riechen vom Brokkoli, den Tomaten, Zwiebeln oder Salatköpfen. Doch der sandige, einst vom Inn überschwemmte Boden soll in nur wenigen Monaten Hobbygärtner mit Frischem beglücken. Der 6.500 Quadratmeter große Acker am Ende des O-Dorfs ist bereits bestellt. In Kürze setzt ein Bauer die Pflanzen und sät die Samen aus. Für Extranährstoffe in der Erde soll Kompost aus einem Tiroler Bio-Champignonbetrieb sorgen. Dann kann das Jäten, Gießen und Ernten losgehen. 

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Das Tiroler Gemeinschaftsgartenprojekt ermöglicht es heuer erstmals 90 Städtern, sich als Selbstversorger zu versuchen. „Im Sommer 2015 trifft man sich am Feld anstatt in einer Bar“, zeigt sich Berthold Schwan, Gründer des Gartenprojekts, optimistisch. Das Prinzip hinter der gemeinsam genutzten Anbaufläche ist einfach: 

Ein Bauer stellt ein Feld zur Verfügung, bearbeitet es im Herbst und Winter, teilt es – im Falle von Neu-Rum – in 50 Quadratmeter große Parzellen und bepflanzt diese mit verschiedenen Gemüsesorten. Interessierte können sich die fix und fertigen Beete für 150 Euro im Jahr über ein Online-Formular anmieten. Ein Pachtvertrag regelt das Verhältnis zwischen Bauer und Mieter. Anfang Mai erfolgt dann die Übergabe. Von da an kümmern sich die „Nützlinge“ um das Gemüse. 

Bewusstsein schärfen.

Die Idee zum Gemeinschaftsgarten schwirrte Berthold Schwan schon länger im Kopf herum. Der 45-Jährige hat jahrelang in der Lebensmittel-Branche gearbeitet und will sich nun im Nachhaltigkeitsbereich neu orientieren. „Ich möchte den Bauern und Konsumenten zeigen, dass es eine Alternative zum Supermarkt gibt“,

„Wenn plötzlich fünf Zucchini zugleich reif sind, ist natürlich Kreativität in der Küche gefragt.“

Berthold Schwan

Wertvolle Bauernschläue.

Gewinnbringend ist das Projekt für alle Beteiligten: Der Bauer verschafft sich mit den Einnahmen ein zweites Standbein. Denn der Gesamterlös der Mieten ist weitaus höher als die herkömmliche Pacht für dieselbe Fläche oder Erträge aus dem Gemüseanbau. „Zudem hat er kein Ernterisiko und kann sein Wissen weitergeben“, erklärt der studierte Betriebswirt. Schwan selbst fungiert als Schnittstelle zwischen Landwirt und Mieter, erhält auch einen Anteil und kümmert sich um die Kommunikation, Koordination und Organisation. Auch der Gärtner selbst genießt selbstverständlich Vorteile: Anders als bei den meisten Gemeinschaftsgärten besitzt er sein eigenes Beet. Karotte und Co. gehören also ihm. Platz für persönliche Wunschsorten ist auch vorhanden.

Arbeitsgeräte gibt es am Feld zum Ausleihen. Die Teller von durchschnittlich zwei bis drei Personen können mit der Ernte günstig gefüllt werden. Der Arbeitsaufwand hält sich mit ein bis zwei Stunden pro Woche in Grenzen. Obendrein isst man regional und saisonal. „Wenn plötzlich fünf Zucchini zugleich reif sind, ist natürlich Kreativität in der Küche gefragt“, meint Schwan, was aber zusätzlich den bewussten Umgang mit Lebensmittel fördere. 

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Damit sich das Feld aber nicht alsbald in einen Pflanzenfriedhof verwandelt, bieten Anbau-Profis fachliche Unterstützung an. Über einen Newsletter will Schwan die Gärtner über Betreffe wie „Was tun bei Schneckenplage“ informieren. Eine persönliche Beratung ist ebenso vorgesehen: „Alle zwei Wochen soll es eine Art Sprechstunde geben, bei der der Bauer vor Ort Tipps gibt“, ergänzt Schwan.

„Wir sollten uns bewusst werden, dass wir im Stande sind, uns selbst zu versorgen.“

Berthold Schwan