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SEPTEMBER 2018

Kletter-WM

Senkrechtstarter

Bei der Kletter-WM in Innsbruck geht erstmals ein österreichisches Paraclimbing-Team an den Start. 6020 stellt die Wettkampf-Disziplin und die Geschichten von vier Athleten vor, die sich von ihrem Handicap nicht davon abhalten lassen, senkrecht zu starten.

Fotos: Axel Springer

Was ist Paraclimbing?

Paraclimbing ist Klettern für Menschen mit einer Körper- oder Sinnesbehinderung (Sehbehinderungen, neurologischen Erkrankungen, Querschnitstlähmungen, Arm- oder Bein-Amputationen usw). In vielen Ländern ist die Sportart schon lange bekannt. In Tirol gab es 2015 den ersten Paraclimbing-Workshop. Seit 2016 werden in Innsbruck regelmäßige Trainings und Kurse angeboten.

Unterschiede zum Sportklettern?

„Der größte Unterschied ist, dass Paraclimber im Toprope klettern, sprich von oben mit einem Seil gesichert“, erklärt Katharina Saurwein, Trainerin des österreichischen Paraclimbing-Nationalteams. Außerdem gibt es vor dem Finale kein Halbfinale, sondern zwei Qualifikationsrunden. Auch die Regeln sind teilweise adaptiert.

Die Routen?

Für Paraclimber werden spezielle Routen für die verschiedenen Kategorien gesetzt. Katharina Saurwein: „Bei Routen für Bein-Amputierte muss man etwa darauf achten, dass es für jeden Zug jeweils einen Tritt für rechts und einen für links gibt, damit die Route sowohl nur mit einem rechten Bein als auch nur mit einem linken Bein zu bewältigen ist.“

TRAINERIN. Die Innsbrucker Profi-Kletterin Katharina Saurwein hat das Paraclimbing-Team in Tirol mitaufgebaut.
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„Immer schon der Kämpfertyp“

Bostjan Halas (39) aus Rottenmann in der Steiermark tritt bei der WM in der Kategorie Neurologische Erkrankung an. Er trainiert im 7. bis 8. Schwierigkeitsgrad.

6020:

Auf den ersten Blick erkennt man nicht, dass Sie eine körperliche Beeinträchtigung haben. Bostjan Halas: Ja, das mag sein. Man sieht vielleicht, dass ich einen kräftigeren Oberkörper habe und schwächer in den Beinen bin. Ich habe eine inkomplette Querschnittslähmung. Der erste Lendenwirbel wurde zertrümmert und dabei das Rückenmark verletzt, wodurch die Nervenversorgung im Unterleib teils unterbrochen ist.

Wie ist das passiert? Durch einen Sicherungsfehler beim Sportklettern in der Halle. Ich bin am Top-Griff abgerutscht, gestürzt und nach 13 Metern ungebremst am Boden aufgeschlagen. Das war im Oktober 2013.

Wie äußert sich Ihr Handicap? Ich habe beidseitig eine Fußhebeschwäche. Ich kann die Zehen nicht bewegen und meine Fußschaufeln nicht nach unten drücken. Es fehlt die hintere Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur. Die Abduktoren, also die seitliche Oberschenkelmuskulatur, ist schwach – ich kann nur das Eigengewicht vom Fuß heben.

Hatten Sie anfangs Angst, wieder klettern zu gehen? Im Vorstieg besteht durchaus immer noch eine gewisse Angst. Da klettere ich, wenn ich müde werde, nicht mehr bis zum Sturz.

Was gibt Ihnen das Klettern? Es macht mir Spaß und es freut mich, dass ich meinen Körper an die Grenzen bringe. Ich war immer schon der Kämpfertyp und habe darauf geachtet, sehr gut, wenn nicht sogar der Beste zu sein.

Ihre Ziele für die Kletter-WM? Natürlich das Finale oder ein Podestplatz. Aber ich weiß, dass es schwierig wird. Wir haben in Österreich vielleicht einen gewissen Trainingsrückstand im Vergleich mit anderen Ländern, wo es Paraclimbing schon seit mehr als zehn Jahren gibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

„Im Vorstieg besteht durchaus immer noch eine gewisse Angst. Da klettere ich, wenn ich müde werde, nicht mehr bis zum Sturz.“

Bostjan Halas

„Ich will mich schön an der Wand bewegen“

Edith Scheinecker (51) aus Enz in Oberösterreich tritt bei der WM in der Kategorie Sehbehinderung an. Sie trainiert im 8. Schwierigkeitsgrad.

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6020:

Was ist Ihr Handicap? Edith Scheinecker: Ich bin hochgradig sehbehindert. Man kann sich das so vorstellen wie bei einen Tunnelblick. Ich sehe also scharf, was ich im Moment im Fokus habe. Und ich bin nachtblind und kann Farben nicht unterscheiden.  

Seit wann leben Sie mit einer Sehbeeinträchtigung? Vor 20 Jahren hat das mit der Nachtblindheit begonnen. Ich hatte damals gerade einmal eine Dioptrie. Dann habe ich bemerkt, dass ich immer schlechter und schlechter sehe. Ich habe eine Zapfen-Stäbchen-Dystrophie. Das ist eine Augenerkrankung, bei der es nach und nach zum kompletten Verlust der Sehschärfe kommt. Aktuell bemerke ich, dass auch der Fokus schwächer wird – wie lange ich noch sehen werde, kann man nicht sagen.

Wie sind Sie zum Paraclimbing gekommen? Ich bin Mitglied einer Klettergruppe, die aus Leuten besteht, die immer wieder Kletterpartner suchen. Eines Tages bin ich eine 6a+ durchgestiegen – das war damals noch sehr gut für mich. Als ich oben war, schrie ich vor Freude: „Es wird Zeit für einen Bewerb.“ Das war natürlich nur eine Gaudi, aber eine Bekannte nahm das ernst und hat mich angemeldet. Und jetzt bin ich dabei.      

Wenden Sie eine spezielle Klettertechnik an? Ja, mir werden Tritte und Griffe über ein Funkgerät, das ich am Klettergurt befestigt habe, angesagt. Ab und zu finde ich auch alleine einen Griff, den ich aber sofort schnappen muss, damit ich ihn nicht wieder verliere. Wenn ich mit Freunden klettere, verwende ich kein Headset.  

Hat sich Ihr Körpergefühl durchs Klettern verändert? Ziel ist, dass ich mein Körpergefühl durch das Klettern noch mehr zum Ausdruck bringen kann, sprich, dass ich mich trotz meiner Beeinträchtigung schön an der Wand bewege.

Was haben Sie sich für die Kletter-WM vorgenommen? In meinem Alter ist es einfach die Freude, an einer WM teilnehmen zu dürfen und das auch noch im Heimatland. Und wer weiß, vielleicht schaffe ich ein paar Quali-Routen? (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch.

„Wie lange ich noch sehen werde, kann man nicht sagen.“

Edith Scheinecker
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„Das Bewegungslernen ist nie zu Ende“

Sandra Pollak (46) aus Maria aus Saal in Kärnten tritt bei der WM in der Kategorie Neurologische Erkrankung an. Sie trainiert im 7. bis 8. Schwierigkeitsgrad.

6020:

Können Sie kurz Ihre Geschichte erzählen? Sandra Pollak: Ich leide an Multipler Sklerose (MS). Die Diagnose wurde 2005 gestellt. Angefangen hat es mit einer Sehnerv-Entzündung. Es folgten Muskelabbau und Entzündungen im ganzen Körper. Ich bin mehr oder weniger dahinvegetiert. Als ich begonnen habe, die Krankheit zu akzeptieren, ging es langsam besser. Ich habe wieder mit dem Muskelaufbau begonnen, musste bestimmte Bewegungen neu lernen – zunächst über Physiotherapie, dann in der Kraftkammer. In der Reha-Therapie ging eine Ergotherapeutin mit mir an die Kletterwand. Ich sah zunächst keinen Sinn darin, da ich nicht einmal einen Löffel halten konnte. Doch dann bin ich einen Meter hinaufgeklettert, und meine Arme und Beine haben gehalten. Das war für mich so bewegend, dass ich mit dem Klettern beginnen wollte.

Wie ging es dann weiter? Ich bin zunächst im Freien mit einem befreundeten Bergführer geklettert – das war für mich Ostern und Weihnachten zusammen. Ich habe drei Anfängerkurse gebraucht, bis ich mir den Achterknoten merken konnte. Zunächst standen das Soziale im Vordergrund und die Freude an der Bewegung. Dann kam ich in einen Fortgeschrittenenkurs. Ich wollte allerdings zu schnell zu viel und habe wieder einen Rückschlag erlitten, kam in den Rollstuhl und habe zwei Jahre lang überhaupt keinen Sport mehr gemacht. Wenn man nicht weiß, dass Bewegungslernen nie zu Ende ist, passiert es sehr leicht, dass man in eine Abwärtsspirale gerät. Heute weiß ich, dass es nach oben keine Grenzen gibt, und das motiviert mich.

Was sind Ihre Ziele bei der WM? Ich möchte ins Finale kommen. Und das Tollste wäre natürlich ein Stockerlplatz. Aber im Vordergrund stehen die Freude am Sport und die Gesundheit. Denn zu viel Ehrgeiz ist bei meiner Erkrankung schlecht. Die MSler tun meistens zu viel und sind zu ehrgeizig, die muss man eher bremsen. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch.

„Ich sah zunächst keinen Sinn darin, da ich nicht einmal einen Löffel halten konnte.“

Sandra Pollak

„Meine Technik ist der Jasmin-Style“

Jasmin Plank (30) aus Hall tritt bei der WM in der Kategorie Neurologische Erkrankung an. Sie trainiert im 7. bis 8. Schwierigkeitsgrad.

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6020:

Seit 2011 leben Sie mit dem Verdacht auf Tetraparese. Wie äußert sich diese Krankheit? Jasmin Plank: Es handelt sich um eine neurologische Erkrankung. Ähnlich wie MS-Patienten habe ich immer wieder starke Schübe, die sich etwa in Krämpfen und Lähmungserscheinungen in Armen, Beinen und Händen äußern. Typisch für die Krankheit ist auch eine Sehschwäche.

Wie sind Sie zum Klettern gekommen? Durch das Therapieklettern während der Reha. Als ich noch nicht in der Lage war, geradeaus zu gehen, konnte ich mich bereits in der Senkrechten am Seil gut fortbewegen.

Welche Technik wenden Sie beim Klettern an? Meine Technik ist der Jasmin-Style. (lacht) Wenn es nach Plan A nicht geht, habe ich inzwischen meine Tricks entwickelt, wie es trotzdem gehen könnte. Das schaut dann vielleicht nicht so elegant aus, aber ich komme über die Stelle drüber.

Hat sich Ihr Körpergefühl durch das Klettern verändert? Definitiv. Ich habe sehr viel durchs Klettern wiedererlernt, beispielsweise die Rumpfstabilität. Durchs Klettern bekomme ich ein besseres Gespür dafür, welche Muskeln ich einsetze.

Mit welchen Zielen starten Sie in die WM-Bewerbe? Ich wäre unglaublich gerne am Stockerl. Aber ich kenne meine Konkurrenz.

Vielen Dank für das Gespräch.

„Durchs Klettern bekomme ich ein besseres Gespür dafür, welche Muskeln ich einsetze.“

Jasmin Plank

Kletter-WM 2018

Die Kletter-WM findet von 6. bis 16. September im Außenbereich des Kletterzentrums Innsbruck (Qualifikationsrunden in Lead, Bouldern und Paraclimbing, kein Eintritt) und in der Olympiaworld (Halbfinalrunden in allen Disziplinen und Qualifikation im Speed, Tickets erforderlich) statt.

Weitere Infos: www.innsbruck2018.com