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SEPTEMBER 2018

Die Widerständigen

Die Qualität einer demokratischen Gesellschaft zeigt sich auch
im Umgang mit ihren Widerständigen. Tirol hat Nachholbedarf bei
der öffentlichen Anerkennung seiner Aufsässigen.

W

enn die Präsidentschaftskanzlei in der Wiener Hofburg für die Präsentation eines Filmes zur Verfügung steht, ist dies schon vorab eine Auszeichnung für das Werk. Sie gilt der Dokumentation „Robert Bernardis, ein vergessener Held“, die der ORF am 12. September zeigt. Schon der Titel ist Programm. Denn bei welchem Seher oder Leser löst dieser Name Wiedererkennung aus? 

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Bernardis war als Oberstleutnant des Generalstabs in Berlin der einzige Österreicher, der beim Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 eine Schlüsselrolle gespielt hat. Doch erst ein halbes Jahrhundert danach begann hier die zaghafte Wiederentdeckung des prompt Hingerichteten. Sie gipfelte in einer Rede von Bundespräsident Heinz Fischer bei einem Reformationsempfang der Evangelischen Kirche. Das ist nun auch schon wieder zehn Jahre her – und vergessen wie Bernardis.

Der vergessene Held.

Wenn letztlich Alexander Van der Bellen als Gastgeber für die Filmpräsentation fungiert, hat das aber mehr Kontinuität als nur Übereinkunft mit dem Vorgänger. Hier geht es um zwei außergewöhnliche Landsleute. Denn auch Bernardis war Tiroler – und Protestant; wie VdB bis zu seinem Kirchenaustritt.

Die Widerständigen sind eine ebenso konstitutive Kraft für die Region, wie es die konservative Prägung dieses Landes ist.

 

1908 in Innsbruck als „Lutherischer“ getauft zu werden, war so ungewöhnlich wie ab 1945 als Balte im Kaunertal aufzuwachsen. Doch Minderheit zu sein prädestiniert nicht zum Widerstand, es sorgt höchstens dafür, dass dieser nicht gebührend wahrgenommen wird – wie bei Bernardis. Dieser passt in doppelter Weise nicht zur Selbstverortung des Landes mit weit überdurchschnittlichem Nazi-Anteil und extrem unterdurchschnittlicher Protestanten-Quote. Das eine historisch, das andere historisch bedingt. Die Eigenstilisierung zur Trutzburg der Aufrechten ist ein leerer Wahn. Tirol ist kein Hort der Widerständigen, aber ihre öffentliche Existenz ist so landestypisch wie die Konformität der Schützen.

Von Hofer bis Wilhelm.

Wo Carl Techets „Fern von Europa“ 109 Jahre nach der Veröffentlichung noch immer nicht komplett überholt ist, wirkt Karl Valentin als Maßstab durchaus zeitgerecht: Sein „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ bleibt die ultimative Messlatte für Tourismusqualität wie Rassismusquantität. Nun ist das eine wie das andere zwar nach wie vor relevant für Tirol, aber das Land definiert sich lieber unverdrossen durch seine Unbeugsamkeit – vorzugsweise historisch verzerrt. Die Überhöhung von Andreas Hofer und die Unterschätzung von Michael Gaismair sind prototypisch für eine 

Fehlverortung, die seitdem über Generationen fortgeschrieben wird. Doch „Widerständig ist der Widerständige nur in der Heimat“ – lässt sich bei Valentin zumindest ein bisschen Anleihe nehmen.

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Doch einen derart öffentlich Widerständigen wie Markus Wilhelm in und für Tirol gibt es in den anderen Bundesländern nicht. So wie sich in keiner anderen Arbeiterkammer ein Fritz Dinkhauser oder Erwin Zangerl als Stachel im Fleische der Volksgesinnungsgemeinschaft entwickeln konnten. Aufbegehrende gegen die (katholische) Kirche sind zwar breiter gestreut, hier jedoch geradezu System – gegen das System; vom einstigen Jesuitenpater und charismatischen Jugendseelsorger Sigmund Kripp bis zu den Initiatoren des Kirchenvolks-Begehrens, Thomas Plankensteiner und Martha Heizer. Dass sie eine der wenigen Frauen im Kreise der prominenten Aufmüpfigen ist, mag aber als Indiz gelten, dass es hierzulande vielleicht noch mehr gibt, gegen das es anzukämpfen gilt. 

Landestypischer Konflikt.

Wer den Kulturbereich von Felix Mitterer bis Markus Koschuh verfolgt, findet weitere Anzeichen dafür. Des einen „Stigma“ vermag heute keinen Skandal mehr zu verursachen, doch seine „Piefke Saga“ hat auch ein Vierteljahrhundert nach ihrer Entstehung noch solches Potenzial – wenigstens in Virgen. So wie die